© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

CD-Kritik: Richard Strauss‘ „Salome“
Keine Orgie
Jens Knorr

Es ist nicht ohne Ironie, daß, kurz nachdem auch Daniele Gatti der #MeToo-Hysterie zum Opfer gefallen ist, der Vorstellungsmitschnitt einer Oper unter seiner Stabführung auf den Markt kommt, die sexuelles Begehren und sexuelle Verweigerung, Gebrauch und Mißbrauch der Lüste auf verschiedenen Ebenen verhandelt: „Salome“ von Richard Strauss. Und es ist nicht ohne Ironie, daß als Gegenspieler der Prinzessin eben jener Bariton Jewgeni Nikitin angezeigt ist, der 2012 wegen seiner inkorrekten Brust-Tätowierung von der Wagner-Erbin aus Bayreuth gegangen wurde.

In Anhörung des üppig auftragenden Concertgebouworkest Amsterdam, zwar mit einigen interessanten Akzentuierungen, aber ohne die von der Partitur geforderte nervöse Überspanntheit, der schlaffen Nichtkonfrontation zwischen Jochanaan und der Prinzessin und einem durchwachsenen Solisten-Ensemble um die beiden herum, muß wohl heute keiner mehr davon überzeugt werden, daß es sich um Kunst und keine Orgie handle, wie es einer noch zu Zeiten Ljuba Welitschs mußte. Die musikalische Interpretation der schwedischen Sopranistin Malin Byström, darstellerisch exaltiert, stimmlich züchtig bis unstet, von Momenten aufblühender Höhe abgesehen, scheint der leeren Gegenwart Amsterdamer Bühnengeschehens nicht entkommen zu sein.

Richard Strauss Salome  RCO Live (Warner) 2019  www.rcoamsterdam.com., www.warnerclassics.com