© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Klare Haltung zeigen
Auswahl, Filterung, Sondierung: Streit um rechte Bücher in öffentlichen Bibliotheken
Martin Leuenberger

Die Frage, wie öffentliche Bibliotheken mit Publikationen rechter Verlage umgehen sollen, ist seit einigen Jahren Gegenstand von Fachdiskussionen. Sollen öffentliche Bibliotheken, das heißt in erster Linie Stadt- und Gemeindebibliotheken, Bücher rechter Verlage anschaffen? Wenn ja, welche und in welchem Umfang? Und sollen diese Bücher auch bei den Neuerwerbungen präsentiert oder besser gleich ins geschlossene Magazin gestellt werden?

Manche plädieren dafür, daß Publikationen rechter oder rechtspopulistischer Ausrichtung nicht in den Bestand einer öffentlichen Bibliothek gehören. Unter ihnen dürften nicht wenige Bibliothekare und – die Frauen sind in diesem Beruf in der Überzahl – Bibliothekarinnen sein. So haben sich beispielsweise auch einzelne Bibliotheken der im November 2018 veröffentlichten „Erklärung der Vielen“ angeschlossen und sich im Kampf gegen Rechts positioniert (JF 48/18).

Diese Haltung steht jedoch im Widerspruch zu den Grundsätzen bibliothekarischer Berufsethik, wie sie im Ethikkodex des 1927 gegründeten Internationalen Dachverbandes der Bibliotheksverbände (IFLA) festgeschrieben sind: Neutralität, Ablehnung von Zensur, Informations- und Meinungsfreiheit.

Verstöße gegen die bibliothekarische Ethik

Vor dem Hintergrund zunehmender Versuche der Einflußnahme durch einzelne Bürger und Politiker auf das Medienangebot bekräftigte der Landesverband Niedersachsen des Deutschen Bibliotheksverbands diese Grundsätze im Frühjahr 2016 in einem „Positionspapier zum bibliothekarischen Umgang mit umstrittenen Werken“. Der Deutsche Bibliotheksverband und weitere Verbände schlossen sich kurz darauf dieser Initiative an. Die Verbände zeigten sich „besorgt über diese Entwicklung, die zur Einschränkung der Informations- und Meinungsfreiheit führen kann“.  

Kürzlich hat nun die Fachzeitschrift BuB – Forum Bibliothek und Information (6/2019) einen Heftschwerpunkt „Streitfall rechte Literatur“ gesetzt. In einem fundierten Aufsatz unter dem Titel „Freiheit aushalten!“ verteidigt der Informationswissenschaftler Hermann Rösch von der TH Köln die bibliotheks-ethischen Prinzipien gegen ideologisch motivierte Willkür. Rösch hält fest, „daß Bibliotheken in demokratischen Gesellschaften den eindeutigen Auftrag haben, Meinungs- und Informationsfreiheit uneingeschränkt zu fördern, von wenigen, klar zu definierenden Ausnahmen abgesehen“.

Schon im vergangenen Jahr hatte Rösch in der Fachzeitschrift Bibliotheksdienst konstatiert, daß es in Deutschland im Umgang mit umstrittenen Werken gegenwärtig „noch viel zu häufig zu Verstößen gegen die bibliothekarische Ethik“ komme. So werden entsprechende Werke oft „erst gar nicht angeschafft, nicht oder nur eingeschränkt zugänglich gemacht oder stillschweigend aus dem Bestand entfernt, um Ärger zur vermeiden.“ Der Autor sieht „gegenwärtig im deutschen Bibliothekswesen nur eine geringe Motivation, sich mit ethischen Fragen zu beschäftigen, obwohl dies wichtiger ist denn je.“ Dazu paßt, daß die Ethikkommission der Berufsverbände im Jahr 2015 aufgelöst und seither nicht wieder besetzt wurde.

In derselben BuB-Ausgabe kommt auch der Münchner Buchhändler Michael Lemling von der traditionsreichen Buchhandlung Lehmkuhl zu Wort. Er erläutert in seinem Aufsatz, warum er neben rund 40 Titeln, die sich kritisch mit dem Thema Rechtspopulismus auseinandersetzen, inzwischen auch drei Titel des Verlags Antaios im Sortiment führt, wofür er von verschiedenen Seiten heftig kritisiert wurde. Die Feministin und Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski sagte sogar eine bereits ausverkaufte Lesung in der Buchhandlung ab. Mit Debattenfähigkeit habe das wenig zu tun, schreibt Lemling.

Bei so viel Meinungsfreiheit bekam die Redaktion der Zeitschrift offenbar kalte Füße. Der verantwortliche Herausgeber Dirk Wissen wollte wohl keinen Zweifel daran aufkommen lassen, wo er selber politisch steht, und fragt sich im Editorial, ob Bibliotheken wirklich „ein ‘Spiegel der Gesellschaft’ sein sollten“. Denn das hieße ja, auch rechte Literatur im Bestand zu führen. „Doch sollten nicht umgekehrt Bibliotheken der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten und eine klare Haltung zeigen, indem sie ‘Nein!’ zu rechter Literatur sagen?“ Denn diese stelle die Menschenwürde in Frage und sei demokratiefeindlich. Man stecke in einem Dilemma: „Wenn rechte Literatur in den Regalen steht, wird eben nicht nur für freien Informationszugang gesorgt, sondern es werden mitunter falsche Informationen verbreitet.“ Es gehe daher um Auswahl, Filterung, Sondierung. Dabei werde aber nicht Zensur praktiziert. „Unser Medienbestand sollte die Bedarfe einer ‘Offenen Gesellschaft’ bedienen und nicht den Markt einer rechten Gesinnung.“  

Berufsethik, Meinungsfreiheit: War da was?

Martin Leuenberger arbeitet als Bibliothekar in der Schweiz

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