© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Der Eifer des Konvertiten
Der Publizist Jürgen Todenhöfer erkennt in seiner sehr einseitigen Analyse hinter den Problemen im Nahen Osten ausschließlich die unselige Politik des Westens
Michael Dienstbier

Jemand, der auf der Suche nach der Wahrheit ist, genießt zu Recht hohes Ansehen. Er hinterfragt Dinge, läßt sich nicht durch vorgestanzte Hohlphrasen abspeisen und nervt so lange, bis er einen Mißstand ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt hat. Gelangt so jemand jedoch zu der Überzeugung, die Wahrheit gefunden zu haben, wird er häufig zu einer tragischen Figur. Er verzweifelt an der Uneinsichtigkeit seiner Umgebung, das von ihm doch lückenlos Bewiesene zu akzeptieren, wird zunehmend aggressiv in seiner Rhetorik und schottet sich in einer hermetisch abgeriegelten Echokammer von allen Einflüssen ab, die seine Wahrheit gefährden könnten. Jürgen Todenhöfer scheint auf dem Wege, zu solch einer tragischen Figur zu werden. Sein neues Buch enthält zwar einige beeindruckende persönliche Schilderungen und kluge Analysen, zeichnet sich jedoch weitestgehend durch argumentative und rhetorische Schlichtheit aus, mit der der Autor dem Leser seine Wahrheit ins Bewußtsein hämmern möchte.

Dabei scheint Todenhöfer getrieben vom Eifer des Konvertiten. Zwischen 1972 und 1990 saß er für die CDU im Bundestag und vertrat als Mitglied der Stahlhelm-Fraktion Alfred Dreggers rechtskonservative Positionen. Seit den Anschlägen des 11. September gehört Todenhöfer jedoch zu den schärfsten Kritikern amerikanischer Außenpolitik. Seine Kritik beschränkt sich aber nicht nur auf das Gebaren der US-Regierungen vergangener Jahrzehnte, sondern bezieht sich auf die gesamte europäische Zivilisation, die für fast alles Übel auf unserem Planeten verantwortlich sei und, so Todenhöfer allen Ernstes, besser im frühen 8. Jahrhundert vom islamischen Reich kolonialisiert worden wäre. Karl Matell für das gegenwärtige Chaos im Nahen Osten verantwortlich zu machen, ist eine Idee, auf die man erst einmal kommen muß.

Todenhöfers These ist eine Binse, die in weiten Teilen von Politik und Volk längst konsensfähig ist: US-amerikanische Außenpolitik wird von Interessen und nicht von Werten geleitet. Klar, denkt sich da der geneigte Leser, von was denn auch sonst? Nicht erst seit Machiavelli und Carl Schmitt dürfte bekannt sein, daß Werte und Moral keine politischen Kategorien sind und höchstens dafür benutzt werden, um Interessenspolitik im besseren Licht dastehen zu lassen. Eine Erkenntnis, die längst Teil des polit-medialen Mainstreams ist, verkauft Todenhöfer hier als von ihm offenbarte Erkenntnis.

Einher mit seiner – man muß es so deutlich sagen – Verachtung der europäischen Zivilisations- und Kulturgeschichte geht eine Verherrlichung des Islam, die in ihrer Kritiklosigkeit schlicht verstörend ist: „Der Islam sieht die Frau grundsätzlich als gleichberechtigt an“, schreibt er, um zwei Sätze weiter zu ergänzen: „Die Bibel ist gegenüber Frauen viel kritischer.“ Nicht der Islam verhindere heute die Gleichberechtigung der Frau, sondern das Patriarchat. Kein Wort darüber, daß der Islam in einer patriarchalen Clangesellschaft entstanden ist und deren Regeln religiös überhöht und somit zementiert hat. Begeistert lobt er die der frühislamischen Expansion zugrundeliegende Toleranzstrategie, die ein Segen für die eroberten Völker gewesen sei. Dies grenzt in seiner Vereinfachung an Geschichtsklitterung. Wer sich nicht unterwarf und als Angehöriger einer anderen Buchreligion eine Schutzsteuer bezahlte, wurde gnadenlos bekämpft, ermordet oder versklavt. Dieses sogenannte Toleranzverständnis kann Todenhöfer nicht ernsthaft als Vorbild für moderne Zeiten empfehlen.

Anders als der Untertitel des Buches suggeriert, kritisiert Todenhöfer nur in einem von 21 Kapiteln die Medien als „Teil des Systems (…), das sie kontrollieren sollten“. Der Begriff des „Fankurven-Journalismus“ erscheint zur Charakterisierung vieler Journalisten durchaus zutreffend. Solche gelungenen Formulierungen bilden aber die Ausnahme. Todenhöfer will nicht argumentativ überzeugen, er will seine Wahrheit predigen. 

Dazu reiht er einen eingängigen Hauptsatz an den anderen und strukturiert seine Kapitel mit bis zu fünf fettgedruckten Zwischenüberschriften pro Doppelseite, als würde er seinen Lesern nicht zutrauen, einen zusammenhängenden Gedankengang auch ohne diesen Schnickschnack verfolgen zu können. Ständige Emotionalisierungen und die Überhöhung von Einzelfällen zur repräsentativen Darstellung der Realität komplettieren das Bild. Todenhöfers Buch verdeutlicht, wie sehr die fundierten Analysen des großen Weltgeschehens eines Peter Scholl-Latour fehlen.

Jürgen Todenhöfer: Die große Heuchelei. Wie Politik und Medien unsere Werte verraten. Propyläen Verlag, München 2019, gebunden, 352 Seiten, 19,99 Euro