© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Frisch gepresst

Opferkult. In seinem neuesten Sachbuch ist der ehemalige taz-Redakteur Matthias Lohre einem immer mächtiger werdenden und gleichzeitig altbekannten Helden auf der Spur: dem Opfer. Lohre stellt fest, daß wir uns geradezu nach Opfern sehnen und uns von ihnen angezogen fühlen. Sie können sich zum Erlöser wandeln und daraus zielstrebig an die Macht gelangen. Zunächst arbeitet sich der Autor an rechten Opfermythen ab. Donald Trump, die AfD – sie alle fühlten sich als Unterdrückte. Doch auch die Linke nutze verschiedene Mittel, etwa die Sprache, „um Menschen unter moralischen Druck zu setzen, um eigene Anliegen durchzusetzen“, wie Lohre erklärt. Allzu oft jedoch erscheinen die im Buch beschriebenen Ängste, vor allem die der Rechten, als bloße Irrationalität. Daß in ihnen auch ein Kern Wahrheit stecken könnte, übersieht Lohre geflissentlich. Viel Neues zur wissenschaftlichen Erforschung des Opferbegriffs, also der Psychologie dahinter, erfährt man auch nicht. Als erster Einstieg in das Thema ist die Veröffentlichung also durchaus hilfreich – mehr aber auch nicht. (ha)

Matthias Lohre: Das Opfer ist der neue Held. Warum es heute Macht verleiht, sich machtlos zu geben. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019, gebunden, 288 Seiten, 22 Euro





Überwachung. Nie zuvor erschien die Welt so einfach und komfortabel wie heute. Information und Entertainment in der Hosentasche, am Handgelenk und in jeder Ecke des Smarthomes. Doch für den Politologen Adrian Lobe gleichen die freiwillig und selbst installierten Sensoren, Mikrofone und Kameras in Smartphone etc. eher einem „Strafvollzug 24/7“, mit Siri und Alexa als „den freundlichsten Kerkermeistern“. Als Ergebnis dieser dystopischen Entwicklung beschreibt Lobe in seinem Buch eine programmierte „Post-Wahl-Gesellschaft“. Algorithmen nehmen dort den Menschen Kommunikation und Entscheidungen ab. Klicks und KI-Vorschläge reichen für politische Mehrheiten. „Es geht darum, Sprache und Kultur zu normieren und produktfähig zu machen.“ Über die wortreduzierten portionierten Happen entscheidet eine an Orwells „1984“ erinnernde kleine „Tech-Kaste“. Ohne sich auf eine linke oder rechte Seite zu schlagen, analysiert Lobe nüchtern, aber mit lebendigen Beispielen die zunehmende Macht der allgegenwärtigen Technik und der sie kontrollierenden Konzerne. (gb)

Adrian Lobe: Speichern und Strafen. Die Gesellschaft im Datengefängnis. Verlag C. H. Beck, München 2019, broschiert, 256 Seiten, 16,95 Euro