© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Ländersache: Berlin
Rot-Rot-Grün startet Mietendeckel-Experiment
Björn Harms

Eine Chance für klamme Mieter oder  bürokratischer Wahnsinn, der nach hinten losgehen wird? Am Dienstag hat der rot-rot-grüne Senat in Berlin trotz massiver Kritik aus allen Richtungen den Mietendeckel beschlossen (JF 26/19). Anfang 2020 soll das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“ (Berliner MietenWoG) in Kraft treten. Es gilt dann für rund 1,5 Millionen der insgesamt 1,9 Millionen Wohnungen in der Hauptstadt und regelt zwei wesentliche Punkte: das Einfrieren der Mieten auf fünf Jahre, rückwirkend ab dem 18. Juni dieses Jahres, und die Festlegung der Mietobergrenzen, die nach Baujahr und Ausstattung der Wohnungen gestaffelt sind. 

Liegt die Miete mehr als 20 Prozent über der definierten Obergrenze – im Gesetz wird von „Wuchermieten“ gesprochen – sollen Mieter bei den Behörden eine Absenkung auf diese Schwelle beantragen können. Den Vermietern wird ab 2022 die Möglichkeit eingeräumt, jährlich 1,3 Prozent als Inflationsausgleich auf die Miete aufzuschlagen. Allein die Umsetzung des Vorhabens dürfte die überlasteten Behörden in der Hauptstadt vor große Probleme stellen: Die Koalition schätzt, daß mindestens 250 zusätzliche Mitarbeiter in den Bezirken und Hauptverwaltungen nötig seien, um den Mietendeckel umzusetzen.

Mit einem offenen Brief an den Berliner Senat hatten 23 Verbände, die für rund 13.300 Unternehmen der Berliner Bau- und Wohnungswirtschaft stehen, einen Tag vor der Abstimmung versucht, Schlimmeres zu verhindern. Der Mietendeckel habe „massive negative Auswirkungen auf die Prosperität des Standortes Berlin“, schrieben die Unterzeichner, darunter etwa die Baukammer Berlin, die Maler- und Lackierer-Innung Berlin, der Bauindustrieverband Ost und die Landesinnung des Dachdeckerhandwerks. „Mit dem Mietendeckel wird die Wohnungswirtschaft ihre Investitionen in den Bestand drastisch – nämlich um bis zu 90 Prozent – reduzieren.“ Die Mietsituation entspanne sich nicht, das Neubauvolumen werde abnehmen und die Bestandswohnungen nicht modernisiert werden. Da dies vor dem Hintergrund „eines wahrscheinlich verfassungswidrigen Gesetzes“ geschehe, appellierten die Verbände: „Nehmen Sie Abstand vom Mietendeckel!“ Dafür ist es nun zu spät.

Die ersten Investoren ziehen bereits ihre Konsequenzen: Laut einer Umfrage des Maklerhauses Engel & Völkers unter rund 260 Immobilienunternehmen wollen künftig 28 Prozent weniger in Berliner Immobilien investieren. Fraglich ist zudem, ob das Land Berlin überhaupt Mieten regulieren darf. Der Senat meint ja, da seit der Föderalismusreform 2006 zwar der Bund für Mietenpolitik, die Länder indes für Wohnungswesen zuständig sind. Verschiedene Rechtsgutachten widersprechen dieser Auffassung.

Ein eigens von der Senatskanzlei beauftragtes Gutachten des Staatsrechtlers Ulrich Battis stellte erst vor wenigen Tagen fest: Ein Mietenstopp sei durch das Grundgesetz gedeckt, festgelegte Mietobergrenzen jedoch eindeutig verfassungswidrig. Union und FDP haben bereits Normenkontrollklagen angekündigt. Droht das Ganze also schon jetzt außer Kontrolle zu geraten? Selbst wenn alles schieflaufen sollte, beruhigte sich Bausenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) jüngst im Freitag, „dann haben wir wenigstens etwas angestoßen“.