© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Peschmerga im Pott
Syrien-Offensive: In deutschen Städten geraten Kurden und Türken aneinander
Peter Möller

Die Erleichterung war den Verantwortlichen der Kölner Polizei anzumerken. Mehr als 10.000 Kurden waren am vergangenen Samstag unter dem Motto „Gegen den türkischen Angriffskrieg – Solidarität mit Rojava“ durch die Domstadt gezogen, um gegen den Einmarsch türkischer Truppen in die überwiegend von Kurden bewohnten Regionen Nord-Syriens zu protestieren. Um einen Zusammenstoß des Demonstrationszuges mit Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu verhindern, waren Tausende Polizisten im Einsatz. Doch die befürchteten bürgerkriegsähnlichen Szenen blieben aus. Am Ende verzeichnete die Polizei lediglich einige relativ harmlose Vorfälle. 

Dennoch zeigten die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, welche innenpolitische Brisanz die weit entfernte türkische Militäroperation mit dem Namen „Friedensquelle“ auch für Deutschland hat. Und nicht überall blieb es in den vergangenen Tagen so friedlich wie in Köln. In Herne kam es am Montag abend zu einer Massenschlägerei zwischen Kurden und Türken, an der nach Angaben der Polizei knapp 60 Personen beteiligt waren. Auch in anderen Orten gab es im Zusammenhang mit der türkischen Offensive ähnliche Auseinandersetzungen.

Die deutsche Politik reagiert angesichts der Entwicklungen im Nahen Osten und der Auswirkungen auf Deutschland äußerst alarmiert. Einigkeit besteht über die Parteigrenzen hinweg in der Ablehnung des türkischen Vorgehens. Doch darüber, wie ein Weg aus der Krise aussehen könnte, herrscht weitgehend Rat- und Hilflosigkeit. „Europa muß schneller reagieren“, sagt etwa der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn dem Spiegel. Es könne nicht sein, „daß die europäischen Reaktionen so lange dauern und so minimal sind“. Die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, kritisierte die Reaktion der Bundesregierung und der EU auf den Einmarsch in Syrien als „halbherzig“. Den vorläufig verhängten Waffenstopp für die Türkei bezeichnete sie als „Farce“ und verwies darauf, daß nach EU-Recht Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ohnehin verboten seien.

Auf allgemeine Überraschung stieß am Montag im politischen Berlin der Vorschlag von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), in Nord-Syrien unter Beteiligung Deutschlands und in Absprache mit der Türkei und Rußland eine internationale Sicherheitszone einzurichten. Vor allem beim Koalitionspartner SPD, mit dem der Vorstoß offenbar nicht abgestimmt war, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Der SPD-Obmann im Verteidigungsausschuß, Fritz Felgentreu, zeigte sich überrascht und sagte im Deutschlandfunk, er habe eine Menge Fragen. „Daß wir da skeptisch sind, das liegt auf der Hand“, bekräftigte er. „Am Ende muß die Bundesregierung geschlossen handeln“. Ein einzelnes Ministerium könne keine internationale Politik gestalten.

Konsequenzen für             Jubel-Geste im Fußball

Noch deutlicher äußerte sich der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid Nouripour. Er warf Kramp-Karrenbauer vor, mit ihrem Vorschlag Außenminister Heiko Maas (SPD) zu widersprechen, der zuvor gesagt hatte, es sei zu früh für solche Überlegungen. „So desavouiert sie mit unabgesprochenen Ansagen nicht nur die Verläßlichkeit Deutschlands in unseren Bündnissen“, sagte Nouripour der dpa. Kramp-Karrenbauer verfestige damit auch den Eindruck, Erdogan könne Deutschland mit der Drohung erpressen, Flüchtlinge nach Europa ziehen zu lassen. „Die Angst vor Flüchtlingen hat Teilen der CDU wohl die Sicht auf die Realität vernebelt.“

Die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag stellte unterdessen am Dienstag einen Antrag vor, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die finanziellen Hilfen Deutschlands an die Türkei, die sich unter anderem aus dem sogenannten Flüchtlingsdeal mit Ankara ergeben, rigoros zusammenzustreichen, um damit die innenpolitische Einflußnahme der Türkei in Deutschland durch Organisationen wie etwa die türkische Religionsbehörde Ditib zu sanktionieren. „Erdogan formt nicht bloß die Türkei zu einem islamistisch-autoritären Regime, sondern er destabilisiert durch seine Interventionen entscheidende Teile Vorderasiens und treibt im selben Geiste türkische Organisationen in Deutschland an“, begründete der entwicklungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Markus Frohnmaier, den Antrag gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Es räche sich, daß allen voran Angela Merkel das migrationspolitische Schicksal Europas in die Hände „dieses neoosmanischen Despoten“ gelegt habe. „Mein Antrag fordert als einen von vielen nötigen Schritten, die Entwicklungsleistungen an die Türkei so weit wie rechtlich irgend möglich zusammenzustreichen. Der milliardenschwere Flüchtlingsdeal mit der Türkei darf keinesfalls fortgesetzt werden; schon gar nicht zu türkischen Bedingungen.“

Unterdessen wappnet man sich auch an ganz anderer Stelle für die Auswirkungen des Konfliktes. Nachdem türkische Fußballspieler bei internationalen Spielen militärisch salutiert hatten, um ihre Unterstützung für die Intervention der türkischen Regierung in Syrien zu demonstrieren, wächst auch in Deutschland die Sorge, diese Aktionen könnten vor allem unter türkischstämmigen Amateurspielern Nachahmer finden. Der Berliner Fußball-Verband wies seine Mitglieder vorsorglich darauf hin, daß der Verband parteipolitisch, weltanschaulich und ethisch neutral sei. „Nachahmer der politisch motivierten Jubel-Geste der türkischen Nationalspieler müssen mit sportrechtlichen Konsequenzen rechnen“, heißt es in einer Erklärung. Der Verband vertrete Werte wie Fairplay, Toleranz, Gewaltfreiheit, Vielfalt und Respekt. „Politisch motivierte Provokationen, gleich aus welcher Richtung, gehören nicht auf den Fußballplatz. Der Berliner Fußball-Verband appelliert daher an seine Vereine, auf jegliche politische Gesten oder Statements auf dem Fußballplatz zu verzichten und ein respektvolles Miteinander zu fördern.“