© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Leben und liken lassen
Generation Z: Erstmals in der Geschichte wachsen Jugendliche in einem volldigitalisierten Umfeld auf – welche Auswirkungen hat das?
Björn Harms

Eine neue Generation ist im Anmarsch. Eine, die die Welt von Grund auf verändern wird. Eine, deren Lebensweise durch äußere Einflüsse bereits von Grund auf verändert wurde. Erstmals in der Geschichte der Menschheit gibt es Jahrgänge, die von Kindesbeinen an in einer digitalisierten Umgebung aufgewachsen sind. Ein Leben ohne Internet gibt es für die sogenannte Generation Z, geboren zwischen 1995 und 2010, nicht mehr. Die Auswirkungen auf alle Lebensbereiche werden gravierend sein. Wenn sie es nicht bereits jetzt schon sind.

Die Vorurteile, mit denen die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu kämpfen haben, sind vielfältig: Sie seien faul, unaufmerksam, lernresistent. Doch wer meint, eine komplette Generation verstanden zu haben und von diesen vermeintlichen Erkenntnissen ausgehend zu generalisieren, ja geradezu pathologische Diagnosen zu verbreiten, begeht möglicherweise einen großen Fehler. 

Es gibt enorme Unterschiede zwischen Stadt und Land, Arm und Reich und natürlich zwischen den Kontinenten und Ländern. Freilich ist ein Herziehen über die Jugend mitnichten etwas Neues. Daran hat sich seit Jahrtausenden nichts geändert. „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes“, beklagte einst Aristoteles. „Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“

Eine vorsichtige Annäherung an das Thema – im folgenden soll es um die Jugend-Verhältnisse in Deutschland gehen – ist also geboten. Zunächst das Offensichtliche: Die Generation Z stellt hierzulande ungefähr 13 bis 15 Prozent der Bevölkerung. Zahlenmäßig ist sie also nicht sonderlich stark. Ihr Einfluß aber wird ungeheuer groß sein, weil die Generation der Babyboomer in den kommenden Jahren aus dem Berufsleben ausscheidet und die Hälfte aller Arbeitsplätze neu besetzt werden müssen. Die Arbeitgeber werden auf gänzlich veränderte Werte- und Verhaltensmuster treffen.

Rebellion war vorgestern, heute ist man angepaßt

Durch die technologisierten Geburtsjahrgänge hat sich der Begriff des Sozialen total gewandelt. Sozial heißt nicht mehr (nur) sich mit Freunden zu treffen – die Zahl der Jugendlichen, die sich täglich mit ihren besten Freunden verabreden, sinkt kontinuierlich – sozial heißt auch, morgens so selbstverständlich wie sich die erste Tasse Kaffee einzufüllen, Twitter oder Instagram zu öffnen, um alle möglichen neuen Informationen aufzusaugen. Rund 98 Prozent der 12- bis 19jährigen besitzen laut JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest ein Smartphone. Den Fernseher schalten immer weniger an. Das Internet ist für sie zur wichtigsten politischen Informationsquelle geworden.

Ohnehin ist die jetzige Generation wieder politischer, heißt es auch in der jüngsten Shell-Jugendstudie, die seit den 1950er Jahren als Bibel der Sozialforschung gilt und alle vier bis fünf Jahre veröffenlicht wird. Rund 41 Prozent der 15- bis 25jährigen schätzen sich selbst als „links“ oder „eher links“ ein, 13 Prozent als „rechts“ oder „eher rechts“.

Die digitalen Versuchungen haben natürlich auch gravierende Konsequenzen. Junge Leute haben in steigender Zahl eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit und zeigen sich kontaktscheu. Die Aufmerksamkeitsspanne läßt bei vielen nach kurzer Zeit nach, sie sind durch virtuelle Umgangsformen nicht mehr gewohnt, sich in realen sozialen Situationen angemessen zu verhalten. Tradierte Höflichkeitsformen werden nicht eingehalten, Kinder grüßen selbst ihnen bekannte Erwachsene nicht.

Zudem steigt in den westlichen Industrienationen seit Jahren, unter anderem durch die häufige Nutzung von elektronischen Geräten, die Depressionsrate bei Jugendlichen. Mädchen sind davon in besonderem Maße betroffen. Der Ruf nach vermehrten „Safe Spaces“ oder „Trigger Warnings“ an den Universitäten (JF 17/19) kommt nicht von ungefähr. Eine fragile Generation fühlt sich von der Sicherheit, die eine „Kultur des Schutzes“ bietet, förmlich angezogen. 

Das liegt auch an der Erziehung: Gerade Väter und Mütter der Ober- und Mittelschichten mutieren häufig genug zu „Helikopter-Eltern“. Ihre Paranoia unterbindet es, daß Kinder natürliche Risiken eingehen. Der Verlust des „freien Spiels“, das Kindern hilft, Problemlösungen bei Streitigkeiten zu entwickeln, ist eine Konsequenz daraus.

Doch der enge Kontakt zu den Eltern wird auch von den Kindern bewußt gesucht. „Rebellion war vorgestern“, lautete ein Ergebnis der Sinus-Jugendstudie aus dem Jahr 2016. Teenager in Deutschland suchen demnach den engen Schulterschluß mit der Elterngeneration. Das bestätigen auch die Ergebnisse der Shell-Jugendstudie. 

Seit 2002 nimmt der Anteil der Jugendlichen, die ein ausschließlich positives Verhältnis zu den Eltern haben, beständig zu. 42 Prozent der 12- bis 25jährigen kommen „bestens“ mit ihren Eltern aus (2002: 31 Prozent). Und während 1985 noch 37 Prozent der 15- bis 24jährigen angaben, sie würden ihre eigenen Kinder „anders“ erziehen wollen, gilt das 2019 nur noch für 16 Prozent. Das muß kein schlechtes Zeichen sein, aber: Für soziale Absicherung nähmen Teenager eine große Nähe zur Welt der Erwachsenen in Kauf, meint der Jugendforscher Klaus Hurrelmann. „Das geht schon in Richtung Überanpassung.“

Der Nachwuchsjournalist Roman Möseneder, tätig für die österreichische Zeitung Wochenblick, ist mit seinen erst 16 Jahren selbst Teil dieser jungen Generation. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bestätigt er die genannten Eindrücke. „Es liegt im Wesen eines Jugendlichen, zu rebellieren“, ist er sich sicher. „Die Generation Z aber sehnt sich nach (ökonomischer) Sicherheit. Durch eine ‘konformistische’ Rebellion, wie sie etwa bei Fridays for Future zu finden ist, können beide Punkte erfüllt werden.“ 

Der Fokus des politischen Aufbegehrens richtet sich derzeit tatsächlich fast ausschließlich auf die Klima-Proteste. Laut der Shell-Studie legen viele Jugendliche mehr als bislang „Wert auf eine deutlich bewußtere Lebensführung“, verbunden mit dem Wunsch nach einer „nachhaltigen Gestaltung von Umwelt und Gesellschaft“. Doch scheinen viele Jugendliche auch ein wachsames Auge auf andere politische Entwicklungen zu haben. 

Ein Drittel der Befragten ist der Meinung, daß Deutschland durch den Islam unterwandert wird. „Hier basiert die populistische Argumentation auf einer Verschwörungshypothese“, schreiben die Studienautoren dazu. Gerade so, als ob hinter den Sorgen der Jugendlichen keine begründeten Zukunftsannahmen stecken könnten. 

Denn ihre eigene Studie liefert zu eng verknüpften Themen erstaunliche Erkenntnisse. Auf die Frage, wie bedeutsam es den Jugendlichen ist, im späteren Leben Macht und Einfluß zu haben, antworten 27 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund mit „wichtig“. Bei jungen Menschen mit arabischem oder türkischem Hintergrund sind es 45 Prozent.

Der Unterschied der Herkunft spiegelt sich auch in der Bedeutung des jeweiligen Glaubens wider. Während nur für 39 Prozent der katholischen und 24 Prozent der evangelischen Jugendlichen ihre Religion „wichtig“ erscheint (2002: 51 Prozent zu 38 Prozent), sind es bei jungen Muslimen 73 Prozent. Wenngleich katholische Jugendliche häufiger beten als evangelische, so ist die Häufigkeit des Gesprächs mit Gott sehr zurückgegangen: Heute beten 18 Prozent der jungen Katholiken und 13 Prozent der Evangelischen mindestens einmal wöchentlich, 2006 waren es noch 28 beziehungsweise 21 Prozent. Fast die Hälfte der Jugendlichen betet 2019 gar nicht (mehr). Junge Moslems dagegen beten zu 60 Prozent mindestens einmal in der Woche.

Über zwei Drittel der 15- bis 25jährigen sind der Meinung, man könne in Deutschland nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist abgestempelt zu werden – ein deutlicher Fingerzeig an die Politik.

Die Mehrheit will: Vater arbeitet, Mutter beim Kind

Daß Teenager generell immer mehr Zeit zu Hause verbringen, haben wir bereits angedeutet. Trinken sie deshalb vielleicht auch immer weniger Alkohol? Nur noch 8,7 Prozent der Jugendlichen von zwölf bis 17 Jahren trinken regelmäßig, heißt es von seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 2004 lag dieser Wert noch bei 21,2 Prozent. Bei den 18- bis 25jährigen sank der Wert von 67,1 auf 33,4 Prozent. 

Auch an anderer Stelle nehmen die Aktivitäten ab: Obwohl oder gerade weil die sexuelle Reizüberflutung im Internet und in der Werbung täglich auf junge Erwachsene einprasselt, haben die 14- bis 24jährigen tatsächlich immer weniger Sex, wie der „Freizeit-Monitor 2019“ feststellt. Auch steige das Alter, in dem Jugendliche zum ersten Mal Geschlechtsverkehr haben, langsam wieder an.

„Entgegen dem Klischee haben Eltern noch den meisten Sex“, sagt Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Studie. Die geringere Häufigkeit von Geschlechtsverkehr in der Generation Z liege oft auch am Mann, habe aber nichts mit Enthaltsamkeit zu tun, erläutert Sexualtherapeut Christoph Joseph Ahlers in der Zeit: „Immer mehr junge Männer vermeiden Sex mit ihrer Partnerin, haben aber eine ausgeprägte sexuelle Selbstbetätigung mit Stimulation durch Internetpornographie, von der die Partnerinnen in der Regel nichts wissen.“

Traditionell bleiben die Kinder hinsichtlich ihrer eigenen Familiengestaltung. Erstmals hatten die Forscher der Shell-Jugendstudie die Befragten gebeten, sich vorzustellen, sie wären schon 30 und hätten ein zweijähriges Kind. Wie viel wären sie bereit zu arbeiten? In diesem Planspiel wollen 41 Prozent der Männer in Vollzeit arbeiten, aber nur acht Prozent der Frauen. Umgekehrt wünschen sich nur fünf Prozent der Männer, daß ihre Partnerin in Vollzeit arbeitet, aber 51 Prozent der Frauen fänden es gut, wenn ihr Partner die ganze Zeit arbeitet. So bleibt festzuhalten: Manches wird sich wohl nicht so schnell ändern – genau wie auch die nächsten Generationen sich traditionsgemäß auf herablassende Äußerungen der Älteren freuen dürfen.





Von Traditionalisten bis Zoomern

Das Wort Generation verband der Theologe und Erkenntnistheoretiker Wilhelm Dilthey im 19. Jahrhundert mit einer wissenschaftlichen Zuordnung zu bestimmten historischen Bezügen. Entscheidend weiterentwickelt hat diesen Begriff dann der Soziologie Karl Mannheim mit seiner 1928 erschienenen Abhandlung „Das Problem der Generationen“. Mannheim spricht vom „Generationserlebnis“, das eine soziologische Generation definieren könne. Je schneller der politische und soziale Wandel sich vollziehe, desto schneller wechselten auch die Generationen. In der jüngeren Forschung werden meist folgende, heute noch lebende Generationen unterschieden: Die Traditionalisten, geboren zwischen 1922 und 1950, haben größtenteils den Zweiten Weltkrieg oder die direkte Nachkriegszeit in ihrer Kindheit und Jugend miterlebt. Die Babyboomer, geboren zwischen 1950 und 1964, waren die erste Nachkriegsgeneration, haben das Wirtschaftswunder erlebt und gehören zu den geburtenstärksten Jahrgängen. Die Generation X (Generation Golf), geboren zwischen 1965 und 1979, wurde in ihrer Kindheit stark geprägt durch die Wirtschaftskrise und die zunehmenden Scheidungen ihrer Eltern. Die Generation Y (Millennials), geboren zwischen 1980 und 1995, haben die Jahrtausendwende bewußt erlebt und bekamen auch den Internetboom und die Globalisierung in vollen Zügen mit. Sie zeichnen sich im Gegensatz zu den Vorgängergenerationen durch ein höheres Bildungsniveau aus. Und schließlich die Generation Z (Zoomer), geboren zwischen 1995 und 2010: Sie hat die Digitalisierung des Alltags bereits komplett in ihr Leben integriert.