© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Linke auf der Überholspur
Präsidentschaftswahl in Argentinien: Ein Land im Abwärtssog / Wirtschaft fürchtet Sieg der Peronisten
Wolfgang Bendel

Am 12. August kollabierten die Finanzmärkte in Argentinien. Der Börsenindex Merval verlor innerhalb einiger Stunden rund 38 Prozent an Wert, während der Peso gegenüber dem Dollar um 25 Prozent nachgab. Seitdem erholten sich die Werte kaum. Tags zuvor hatte es verpflichtende Vorwahlen zu den am 27. Oktober stattfindenden Präsidentschaftswahlen gegeben. Sinn dieser „Primarias“ genannten Abstimmung ist es, all die Kandidaten auszusieben, die weniger als 1,5 Prozent der Stimmen erhalten. Dabei erzielte der linkspopulistische Herausforderer Alberto Ángel Fernández des amtierenden rechtsliberalen Präsidenten Mauricio Macri einen haushohen Sieg, indem er mit über 49 Prozent der Stimmen an der absoluten Mehrheit kratzte. Die Märkte befürchten offenbar im Falle eines Sieges der Linken eine Politik, die der schon kriselnden Wirtschaft den nächsten Tiefschlag versetzen würde. 

Unabhängige Kandidaten haben keine Chance

Argentinien, das einmal zu den wohlhabendsten Staaten der Erde gehörte, taumelt seit Jahrzehnten von einer Wirtschaftskrise in die nächste. Das ist auch diesmal nicht anders. Die Wahlen finden zu einem Zeitpunkt statt, an dem die Regierung Macri beim IWF um Kredite ansuchen mußte, um das Land über Wasser zu halten. Solche Kredite werden natürlich nur dann vergeben, wenn die betroffenen Regierungen Sparmaßnahmen versprechen. Diese wiederum verschärfen die Verarmung weiter Bevölkerungskreise, was diese in die Arme der jeweiligen Opposition treibt. Diesen Abwärtssog scheint keine Regierung aufhalten zu können, egal ob sie rechts- oder linksgerichtet ist. Man muß sich an dieser Stelle in Erinnerung rufen, daß der „Rechte“ Macri 2015 vor allem deshalb an die Macht kam, weil die damals regierende „Linke“ Cristina Kirchner ihrerseits das Land in die Krise manövriert hatte. 

Die beiden Hauptrivalen Amtsinhaber Macri mit seinem Vize Miguel Pichetto einerseits und der Herausforderer Alberto Fernández mit der ehemaligen Staatschefin Cristina Kirchner als Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin stehen in der Tradition der beiden großen parteipolitischen Strömungen des Landes. 

Im Falle Macris ist dies die Radikale Bürgerunion, die, wie der Name schon andeutet, eine Partei des liberal-konservativen Bürgertums ist. Dem gegenüber steht der Partido Justicialista (PJ) von Cristina Fernández de Kirchner. Die „Gerechtigkeitspartei“ wurzelt in der Tradition des Peronismus, benannt nach Juan Domingo Perón, einem genauso umstrittenen wie beliebten Präsidenten, der dem Land in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts politisch den Stempel aufgedrückt hatte.

 Die soziale Basis des PJ liegt in der Arbeiterschaft und im Kleinbürgertum.  Die Partei war lange Zeit ideologisch schwer einzuordnen, da es sowohl rechte als auch linke Flügel gab. Seitdem aber Cristinas inzwischen verstorbener Ehemann Nestor Kirchner 2003 sowohl die Partei als auch das Präsidentenamt übernommen hatte, kann man bei den Peronisten von einer linksnationalen oder linkspopulistischen Partei reden.

Von den vier weiteren Kandidaten, die die Vorwahlen überstanden hatten, ist nur noch der ehemalige Wirtschaftsminister Roberto Lavagna erwähnenswert. Er verspricht technokratische Lösungen, um der Dauerkrise Herr zu werden. Auch diese Art von Kandidaten ist eine typische Erscheinung bei argentinischen Wahlen. Trotz oftmals vernünftig und realisierbar anmutender Vorschläge kamen sie aber nie zum Zuge, allein schon deshalb, weil sie weder über eine organisatorische noch eine soziale Basis verfügen.

Die beiden wichtigsten Kandidaten treten inzwischen mit Aussagen vors Publikum, die wenig Erhellendes zur Dauerkrise des Landes beinhalten. Vor Schülern meinte Herausforderer Fernández beispielsweise: „Argentinien ist absolut verschuldet, mit einer komplizierten Zukunft, und dabei hat man immer die Gewißheit, daß wir die Dinge ändern können.“ Es bleibt die bislang unbeantwortete Frage, wie eine solche Änderung denn konkret aussehen soll.

Macri seinerseits gab vor Anhängern in Buenos Aires Durchhalteparolen aus: „Sie warten darauf, daß ich Ihnen sage, daß man diese Wahl noch umdrehen kann, natürlich können wir das.“ Und er ergänzte: „Wir hatten viele Wahlüberraschungen, aber das wäre die größte Überraschung des Jahres für die Schwellenländer.“