© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Wenn der Autoabsatz stockt, bekommen viele Fieber
Konjunktursorgen: Der Ausstellerschwund auf der „Tokyo Motor Show“ ist ein Alarmzeichen / Globale Handelskonflikte weiten sich aus
Albrecht Rothacher

Acht große gelbe Vogelskulpuren stehen am Weg von der S-Bahnstation Zollverein Nord zur ehemaligen Essener Steinkohlenzeche. Sie sind eine Reminiszenz an jene Kanarienvögel, die einst das Leben der Bergleute retteten: Bei „Bösem Wetter“ (Sauerstoffmangel und giftigem Grubengas) fielen sie von der Stange. In der Wirtschaft ist die Kfz-Nachfrage ein Indikator der Konjunktur: Die Stahlindustrie, die Zulieferer und die Maschinenbauer bekommen sofort hohes Fieber, wenn die Autoindustrie Schnupfen hat.

Rückläufige Investitionen, unnötige Handelskriege

Das Wohlfühljahrzehnt, das Mercedes erlaubte, seine Produktion auf 2,4 Millionen Pkws, 525.000 Lkws und 440.000 Vans zu verdoppeln, scheint nun vorbei. Der Währungsfonds IWF hat daher seine Prognose für das laufende Jahr zum vierten Mal gesenkt: für Deutschland werden nur noch 0,5 Prozent Wachstum erwartet. 2020 sollen es 1,2 Prozent sein – 0,5 Prozentpunkte weniger als in der Schätzung im Juli. Die Weltwirtschaft soll nur noch um drei und 2010 um 3,4 Prozent wachsen – das kann glauben, wer will. In der EU sind die Investitionen rückläufig und damit Aufträge für Industriemaschinen.

Die Anschaffung eines Privatwagens läßt sich vielleicht für ein paar Jahre zurückstellen. Zumal Käufer in Deutschland von Dieselverboten, dem E-Auto-Hype und der Klimahysterie gründlich verunsichert werden. Die zerstrittene, von immer aberwitzigeren CO2-Emissionszielen gepeinigte Autoindustrie bleibt ängstlich in der Deckung. Niemand traut sich eine ernsthafte Prognose, welche Antriebstechnik sich künftig durchsetzen wird. Die Umstellung der VW-Produktion in Sachsen auf den „modularen E-Antriebs-Baukasten“ ist eine Wette auf die Zukunft (JF 39/19).

In den USA stagnierte 2018 der Markt für Light Vehicles (Pkw, Pickups) bei 17,2 Millionen. In China, dem größten Pkw-Markt, gingen 2018 die Verkäufe um vier Prozent auf 23,3 Millionen zurück. Doch die deutschen Konzerne verkaufen dort schon jedes dritte ihrer Fahrzeuge. Im laufenden Jahr ist der Markt regelrecht eingebrochen: Ursächlich ist das Ende der Subventionen für E- und Hybridautos, die – gespeist von Kohle- und Atomstrom – die Luft in den Millionenstädten verbessern sollten. 95 Prozent des chinesischen Automarkts werden weiterhin von Verbrennern dominiert, aber die Umsätze bei Lieferwagen und SUV sind zweistellig rückläufig – wegen der Wachstumsschwäche und des Zollstreits mit den USA, bei dem Peking die Importe von GM und Ford mit 25prozentigen Strafzöllen belegt hat.

Ob die Ankündigung von Chinas Vizepremier Lia He, jährlich für 40 bis 50 Milliarden Dollar US-Agrargüter zu kaufen, den Handelskrieg entschärft, ist ungewiß. Die GM-Werke in den USA werden jedenfalls seit 15. September bestreikt. Es geht dabei nicht nur um Löhne und Sozialleistungen, sondern um Werksschließungen und Verlagerungen in Billigländer. 48.000 Beschäftigte sind im Ausstand. Die Bank of America rechnet mit Verlusten von zwei Milliarden Dollar. 1970 streikten 400.000 GM-Arbeiter zwei Monate lang erfolgreich – aber damals war der Detroiter Konzern noch weltgrößter Autobauer. Heute liegt man jährlich mit 8,3 Millionen produzierten Buick, Cadillac, Chevrolet und GMC über zwei Millionen Stück hinter VW, Toyota und Renault-Nissan.

In Japan ist die Konjunktur nach der jüngsten Erhöhung der Verkaufssteuern von acht auf zehn Prozent so eingetrübt, daß die großen Importeure, abgesehen von Daimler und dem entfremdeten Nissan-Partner Renault, der diesjährigen Fachmesse, der „Tokyo Motor Show“ mit ihrem futuristischen Schnickschnack (Motiv: „Offene Zukunft“) fernbleiben. Immerhin muß man auf dem Ausstellungsgelände auf der künstlichen Insel Odaiba in der Bucht nicht befürchten, wie bei der Automesse IAA in Frankfurt/Main von agressiven Klimapanikern beleidigt, behindert und angegriffen zu werden. Auch parkende Autos werden in Japan nicht angezündet. Nur für die Anreise vom außerhalb gelegenen zweiten Haupstadtflughafen Narita sind zwei Stunden Zugfahrt einzuplanen.

Zu allem Überfluß führt Japan auch einen kleinen Handelskrieg mit Südkorea: Es behindert den Export von Materialien für die Herstellung von Halbleitern und Bildschirmen für Smartphones, von denen die Großkonzerne Samsung, Hynix und LG abhängen. Dies ist das Gegenfoul für die Beschlagnahme des Eigentums von Nippon Steel und Mitsubishi Heavy Industries in Südkorea, mit der das Seouler Höchstgericht angebliche Zwangsarbeiter in Japan während der Kriegs- und Kolonialzeit (1910–1945) entschädigen will. Für Japan sind mit einem bilateralen Abkommen von 1965 und dem damaligen Verzicht alle Ansprüche erloschen.

Die USA haben nach dem WTO-Schiedsspruch zu den Airbus-Subventionen gegenüber der EU Strafzölle in Höhe von 7,5 Milliarden Dollar vorbereitet. Donald Trump droht weiterhin mit Strafzöllen gegen deutsche Autoimporte. Der US-Kongreß hat die Erdgasleitung Nordstream 2 im Sanktionsvisier (JF 43/19). Hinzu kommen die Ungewißheiten des Brexits – und all das ist tödlich für eine schnelle Konjunkturerholung.

Die 46. „Tokyo Motor Show“ läuft ab 24. Oktober auf der Insel Odaiba vor Tokio: www.tokyo-motorshow.com/