© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Haltlose Vorwürfe
Sachsen: Kirchenleitung nimmt Rücktritt von Bischof Rentzing an / Online-Petition fordert Verbleib im Amt
Gernot Facius

Die Leitung der sächsischen Evangelisch-Lutherischen Kirche hat das Rücktrittsgesuch von Landesbischof Carsten Rentzing (52) mit Wirkung vom 31. Oktober, dem Reformationstag, angenommen, aber damit ist die Vertrauenskrise unter den rund 750.000 Protestanten im Osten der Republik (und vielleicht darüber hinaus) längst nicht ausgestanden. Im Gegenteil. Online-Petitionen pro und kontra Rentzing künden von einer inneren Spaltung: Wurde ein Kirchenleiter gemobbt, weil seine theologischen Positionen mit dem (linken) Mainstream in der EKD kollidieren? War die geschürte Empörung über Texte, die der gebürtige Berliner als Jüngling vor drei Jahrzehnten in einem Blättchen (Fragmente), Auflage 100 Exemplare, veröffentlichte, nur ein Vorwand, um einen unbequemen Geist loszuwerden?

In einer Petition auf der Online-Plattform Citizengo kitisierten konservative Theologen die Kampagne gegen den sächsischen Landesbischof und forderten den Verbleib von Rentzing im Amt. Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, „das einen Rücktritt rechtfertigen würde“. Deshalb sei es „nötig, ihn gegen den ausgeübten Druck und die gegen ihn gestartete Schmutzkampagne in Schutz zu nehmen und für seinen Verbleib im Amt einzutreten, damit die Intriganten nicht die Oberhand behalten“. Bis zum Redaktionsschluß dieser Ausgabe hatten knapp über 20.000 Pesonen diese Petition unterzeichnet.

Synodalpräsident Otto Guse bedauerte den Amtsverzicht des Bischofs („aus eigener freier Entscheidung“) und bekannte: „Ich habe selten einen so wunderbaren Geistlichen kennengelernt. Ich würde mich jederzeit unter die Kanzel setzen, unter der er das Wort auslegt.“ Zu spät. Daran konnten auch Mahnwachen engagierter Gemeindemitglieder nichts mehr ändern.

Der Konflikt schwelte eigentlich schon seit Rentzings Wahl 2015. Es verging kaum eine Woche, in der nicht seine streng an der Bibel orientierte Haltung kritisiert wurde. In einem Zeitungsinterview hatte er bereits vor seiner Amtseinführung gesagt, Homosexualität entspreche nicht dem Willen Gottes; an dieser Auffassung hielt er fest. Daraus aber auf eine „homophobe“ Gesinnung zu schließen, wie dem Bischof unterstellt wurde, empfanden viele Sachsen als intellektuell unredlich. Denn er wolle, so hatte Rentzing gleich hinzugefügt, homosexuelle Menschen auf keinen Fall verletzen. Er bekannte sich sogar zum Beschluß der Landessynode, daß zwei verschiedene „biblisch grundierte Positionen zur Homosexualität Schutz und Raum in dieser Landeskirche genießen“. Half ihm das in seinem Amt?  Wie man heute weiß: nein.

Historiker: „Geruch des Inquisitorischen“

Ignoriert wurden auch seine Warnungen vor „Scheitellinien zwischen schlechten und guten Flüchtlingen“. Nächstenliebe, sagte er, könne keine Grenzen haben. Auch eine bevorzugte Aufnahme von christlichen Asylbewerbern gegenüber Muslimen, wie sie einige osteuropäische Regierungen vertreten, sei nicht christlich. Sprach das für eine nationalistische Gesinnung?

Seine Gegner gruben in der studentischen Vergangenheit des Bischofs und förderten neben einer Mitgliedschaft in der schlagenden Verbindung „Alte Prager Landsmannschaft Hercynia“ rund 30 Jahre alte Zitate zutage, die sich, wenn man so will, als demokratiekritisch einordnen lassen. Der Historiker und Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai (Zossen bei Berlin) sieht in den Attacken gegen Rentzing einen „Geruch des Inquisitorischen“. Erstens, so der Autor der Streitschrift „Geht der Kirche der Glaube aus?“, sei es unseriös, Zitate aus dem Zusammenhang zu lösen, und zweitens habe jeder Mensch auch das Recht, sich zu ändern. Rücktrittsforderungen unter anderem damit zu begründen, daß der Landesbischof zwei Jahre vor seiner Wahl einen Vortrag in der Berliner „Bibliothek des Konservatismus“ gehalten hat, sei in politischer wie in theologischer Hinsicht niederschmetternd: Denn zum einen entlarve dies eine mangelnde demokratische Haltung, und zum andern würfen diese Maßstäbe die Frage auf, wo Jesus Christus, wo Petrus und wo Paulus nach dem Willen der Petenten hätten predigen dürfen und wo nicht, schrieb Mai in einem idea-Kommentar.

Der Autor kommt auch gleich auf das „eigentliche Problem“ zu sprechen, das sich im Umgang mit dem Bischof zeige: Es liege in der Umwandlung der Kirche Christi in eine politische Vorfeldorganisation. Mai verweist auf einen Kommentar in dem evangelischen Magazin Zeitzeichen, das unter anderem vom EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm mitherausgegeben wird. Darin heißt es: „Rentzing, Jahrgang 1967 und bis vor kurzem der jüngste Leitende Geistliche der EKD, äußerte sich in seinem Amt überhaupt nicht politisch. Damit war er in der Tat aus der Zeit gefallen, denn zur Praxis Leitender Geistlicher in der EKD gehört es eben heute, daß sie sich regelmäßig politisch äußern und dies in der Regel eindeutig im links-liberalen Spektrum.“ Lassen sich die Aversionen gegen den sächsischen Bischof deutlicher begründen?

Der angesehene ehemalige thüringische Landesbischof Werner Leich war ebenfalls Mitglied einer schlagenden Verbindung gewesen. „Bei Bischof Leich hat dies (zu Recht) niemanden interessiert, bei Bischof Rentzing wird dies zum Skandal gemacht. Warum?“ So klagten Rentzing-Unterstützer aus evangelikalen Kreisen und sprechen von einer „Haltlosigkeit der Vorwürfe“. Es sei an der Zeit, zu einem „brüderlichen Gespräch“ mit dem Landesbischof zurückzukehren.

Dafür scheint es nun zu spät zu sein. Auf der Frühjahrssynode 2020 soll ein Rentzing-Nachfolger gewählt werden.

Biographien künftiger Bewerber stärker prüfen

Auch Synodalpräsident Guse findet Anstößiges im Umgang mit dem Kirchenleiter. Vorsichtig formulierte er zwei Fragen: Sei eine Petition ein geeignetes Mittel, um Personalfragen zu klären? Was sei rechtsextrem und was ein wertkonservativer Christ? Man wolle die Biographie künftiger Bischofskandidaten stärker prüfen. Soweit dies möglich sei, fügte Guse hinzu: „Wir sind ja kein Staatsschutz!“ Damit grenzte er sich indirekt von der Forderung einzelner Rentzing-Kritiker nach einer peniblen Durchleuchtung des Lebens von Bewerbern ab.

Inzwischen fragen sich viele Kirchenmitglieder: Wird der Amtsverzicht des Landesbischofs zu einer dauerhaften Beruhigung in der sächsischen Kirche beitragen? Zweifel sind angebracht.

Die Petition für den Verbleib von Sachsens Landesbischof Carsten Rentzing im Amt findet sich auf der Internetseite

 www.citizengo.org