© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/19 / 25. Oktober 2019

Vermittler im deutschen Widerstand
Vor 75 Jahren starb Max Habermann, konservativer Gewerkschafter im Umfeld des 20. Juli
Martin Fallier

Als sich in der Nacht vom 30. Oktober 1944 in einer Gefängniszelle in Gifhorn Max Habermann erhängte, um seine Freunde nicht unter Folter zu verraten, hatte der 59jährige Gewerkschafter eine hektische Flucht vor den Schergen des NS-Staates hinter sich – und ein bewegtes Leben. Dennoch ist er der deutschen Nachwelt heute kaum noch bekannt. 

Der am 21. März 1885 geborene Habermann stammte aus einer Schneiderfamilie aus Altona. Nach einer Lehre im Buchhandel machte er Karriere im Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband (DHV), dem größten kaufmännischen Berufsverband seiner Zeit. Habermann brachte es dort zum Vorstandsmitglied (1913), Leiter der Bildungs- und Jugendabteilung und Verbandsvertreter in der Öffentlichkeitspolitik, im DGB sowie im Internationalen Bund Christlicher Angestelltenverbände, war Schriftleiter der Verbandszeitung Deutsche Handelswacht und Aufsichtsrat der Hanseatischen Verlagsanstalt (HAVA), die aus dem DHV hervorging.

Der DHV war eine Gewerkschaft der Angestellten, die sich aber weniger dem Kampf gegen Unternehmer widmete. Sie war geprägt durch konservative, an Volkstum, Protestantismus und Ständestaat ausgerichtete Ziele. Politischen Einfluß nahm Habermann vor allem über Petitionen an Minister und Parlament sowie über Verbindungen zu Parteien, von den Nationalliberalen über das Zentrum bis zur DNVP. Mit der Übernahme der DNVP-Parteiführung durch Alfred Hugenberg, der eher als Vertreter der Schwerindustrie und Großgrundbesitzer als von Arbeitnehmerinteressen galt, und der „Harzburger Front“ mit Hitler kam es zu Konflikten und schließlich zur Gegnerschaft zu DNVP und NSDAP, zwei bisherigen Bundesgenossen. Dafür unterstützte die Gewerkschaft um Habermann die Konservative Volkspartei (KVP), eine DNVP-Abspaltung, die mit Gottfried Treviranus ein Mitglied der Regierung Heinrich Brüning stellte, sowie Reichspräsident Paul von Hindenburg.

In den Jahren 1930 bis 1932 arbeitete Habermann mit Brüning und den NSDAP-Abweichlern Gregor Strasser und Albert Krebs zusammen und versuchte, Hitler und Brüning einander anzunähern. Hatte er bis dahin die Gefahr hinter dem Nationalsozialismus kaum erkannt, entschied er sich nach einem erfolglosen Gespräch mit Hitler Ende 1931 zur Gegnerschaft. Vergeblich blieb auch seine Unterstützung der Versuche Strassers und des Reichskanzlers Kurt von Schleicher, unter Ausschluß Hitlers einen Teil der NSDAP in die Regierung einzubinden. Damit hatte sich Habermann bis 1933 bereits so als Gegner Hitlers exponiert, daß er aus dem DHV kurz vor dessen Gleichschaltung ausgeschlossen wurde und zeitweise unter Hausarrest stand.

Die Ansichten des gläubigen Protestanten vereinten „konservative Staatstradition aus preußischem Erbe“, „unternehmerische Tüchtigkeit aus liberaler Lebenshaltung“ und „Menschenliebe aus christlich-sozialer Verpflichtung“ unter dem Banner des Nationalismus und waren angelehnt an ständische Ideen. Er klagte in seinen Reden über die „Zersetzung aller natürlichen Bindungen und Gemeinschaften“ und die keineswegs friedenstiftende Ordnung von Versailles, kritisierte die Orientierungslosigkeit im „atomisierten Massenstaat“. Seine Gegenspieler hießen Kapitalismus und Marxismus, die beide das Primat von Ökonomie und Materialismus propagierten.

„Volksgemeinschaft gegen das Verbrechen“

Das Entsetzen über die politischen Morde im Zuge des „Röhmputsches“  im Sommer 1934, dem viele Nationalkonservative und Freunde Habermanns zum Opfer fielen, motivierte ihn, unter dem Deckmantel einer Firma für Büroeinrichtungen ehemalige DHV-Mitglieder im Widerstand zu vernetzen. Ab 1935 trat er in Kontakt mit Jakob Kaiser und Wilhelm Leuschner. Dieses Zweckbündnis aus Gewerkschaftern christlicher, sozialdemokratischer und nationalkonservativer Richtung war als „Volksgemeinschaft gegen das Verbrechen“ (August Winnig) in den militärisch-zivilen Widerstand um Ludwig Beck, Carl Friedrich Goerdeler, Josef Wirmer und Helmuth James Graf Moltke eingebunden. 

Der Gewerkschaftskreis wollte nach dem Attentat auf Hitler die Arbeiterschaft als loyale Volksbewegung mobilisieren und eine Einheitsgewerkschaft aufbauen, deren stellvertretender Vorsitzender Habermann werden sollte. Der neue Staat sollte unter christlichem Bekenntnis berufsständische und demokratische Elemente vereinen, Bodenschätze und Schlüsselindustrien sozialisieren, die Arbeiter gleichberechtigen.

All diese Pläne zerschlugen sich mit dem Scheitern des Attentats von Stauffenberg, über das der Gewerkschaftskreis nicht konkret im Bilde war. Am 1. August verabschiedete sich Habermann in Richtung Bielefeld, wo er sich nacheinander in den Wohnungen zweier Freunde verbarg – die jedoch beide Bombenschäden erlitten. Als er sich daraufhin entschloß, auf seinem Weg nach Hamburg in einem Dorf nahe Celle seine Frau und einen seiner Söhne zu besuchen, wurde er denunziert und verhaftet.