© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/19 / 01. November 2019

„Ich spreche für viele meiner Kollegen“
Rauswurf: Das Pharmaunternehmen Roche kündigt einem langjährigen Mitarbeiter – kurz nachdem er für die AfD in den Stadtrat einzieht
Björn Harms

Irgendwie hatte es Rainer Huchthausen schon geahnt. Lange geht das hier auf der Arbeit nicht mehr gut, dachte sich der 57jährige Mannheimer. Die betriebsinternen Anfeindungen nahmen zu, er hatte das Gefühl, man wollte ihn so schnell wie möglich loswerden. Dann passierte es: Anfang Oktober kündigte ihm sein Arbeitgeber, der Pharmakonzern Roche Diagnostics am Standort Mannheim.

Dabei gilt ein Mann wie er in der Berufswelt eigentlich als unkündbar. Fast 25 Jahre Jahre hielt er als Werksfeuerwehrmann seine Knochen für den zweitgrößten Arbeitgeber der Rhein-Neckar-Region hin. Seine Brandschutztätigkeiten nahmen die Hälfte seines Jobs ein, den Rest der Zeit war er im Büro tätig. „Jahrelang arbeitete ich mit Chemikalien, die eine schwere Asthmaerkrankung auslösten“, erzählt Huchthausen der JUNGEN FREIHEIT. Er besitzt einen Schwerbehindertenausweis, für ihn gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Wie konnte es also soweit kommen?

AfD-Mitgliedschaft spricht sich im Betrieb herum

Vor rund fünf Jahren tritt Rainer Huchthausen in die AfD ein. „Ich kam ursprünglich über die GEZ-Schiene hinzu“, erläutert er seine Motive. Die AfD sei die einzige Partei gewesen, die sich gegen den Rundfunkbeitrag ausgesprochen habe. Später habe er gemerkt, daß die Partei ihn in anderen Politikfeldern ebenso überzeugen könne. Er beginnt sich aktiv zu engagieren.

Schnell spricht sich das Ganze auch im Betrieb herum, spätestens als Huchthausen einem Lokalsender ein Interview gibt. Unter der Hand stimmen einige Kollegen seinen Positionen zu. Irgendwie logisch, schließlich gewinnt die AfD schon zu einem frühen Zeitpunkt gerade im klassischen Arbeitermilieu rasant an Wählern. Doch der Geschäftsführung und vor allem dem SPD-nahen Betriebsrat ist er fortan ein Dorn im Auge. Einen AfD-Mann will man hier ganz sicher nicht haben. 

Lange Zeit galt Mannheim als SPD-Hochburg – und Roche als parteinahes Vorzeigeunternehmen, bei dem sich Landespolitiker der SPD nur allzu gerne bei Besuchsterminen fotografieren ließen. Doch wie im gesamtem Bundesgebiet hat sich auch in Mannheim der Wind gedreht, Grüne und AfD graben der Partei das Wasser ab. In den Betriebsräten und Gewerkschaften sitzen an vielen Stellen jedoch weiterhin die alten Kader. Auch bei Roche in Mannheim gehört das SPD-Parteibuch im Betriebsrat, der hier gut 8.500 Mitarbeiter vertritt, noch immer zum guten Ton. 

Ein Jahr nach seinem Parteieintritt bestellt die Betriebsratsvorsitzende Brigitte Bauhoff das AfD-Mitglied zu einer Versammlung ein. Daß auch ihr Herz der SPD gehört und sie die AfD zutiefst verachtet, ist unzweifelhaft: Auf Facebook lassen sich Fotos von der Apothekerin finden, die sie gemeinsam mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei auf einer Anti-AfD-Demonstration zeigen. „Die AfD ist KEINE normale Partei, sondern zutiefst rassistisch!“, heißt es dort. Ironie des Schicksals: Fulst-Blei hatte bei den Landtagswahlen im März 2016 sein Direktmandat im Mannheimer Norden völlig überraschend an den AfD-Politiker Rüdiger Klos verloren. Bauhoff ist zudem auf Facebook mit zahlreichen SPD-Lokalpolitikern und Gewerkschaftlern vernetzt. 

Huchthausen nimmt also Platz, genau wie 40 weitere Kollegen. Im Gespräch mit der JF versucht er das Geschehen zu rekapitulieren. „So, ich begrüße euch“, habe Bauhoff direkt losgelegt, erzählt der AfD-Politiker. „Und zum Anfang möchte ich gleich zur dir kommen, Rainer Huchthausen.“

Ein Overheadprojektor wird angeworfen. Vor versammelter Mannschaft hält Bauhoff ein Tribunal ab. Der Angeklagte heißt Rainer Huchthausen. Facebook-Posts von ihm werden auf die Leinwand projiziert. Er soll Stellung beziehen. Was sage er zu diesem Bild, was zu jenem. 

„Mir wird schlecht. Ich sitze mit einem Nazi im Raum“, soll eine Kollegin aufgeheult haben. Dabei sei das Gezeigte harmlos und nicht strafbar gewesen, versichert Huchthausen gegenüber der JF. Aber habe natürlich AfD-Bezug gehabt. Bei dem Treffen traut sich kein Kollege, ihm zur Seite zu stehen. Nur einer raunt dem 57jährigen bei einer anschließenden Zigarette vor dem Gebäude zu: „Was die mit dir hier machen, geht gar nicht.“ 

Doch wohin die Reise nun geht, ist Huchthausen klar. „Ab da war ich Persona non grata.“ In den folgenden Monaten beginnt ein Psychospiel. Das Muster ist immer gleich: „Ich wurde gemieden, habe wichtige E-Mails nicht mehr erhalten.“ Je höher die Ebene des Gegenübers, desto geringer die Wahrscheinlichkeit gegrüßt zu werden, ganz gleich wie das Verhältnis war, bevor die AfD-Karriere bekannt wurde. „Am Anfang hat es mich natürlich getroffen, irgendwann konnte ich nur noch drüber lachen.“ 

Das geht eine Zeitlang so weiter. Schließlich meldet sich ein führender Kopf der Gewerkschaft IG Bau,Chemie, Energie (IGBCE). Die soll eigentlich die Interessen der Arbeitnehmer bei Roche vertreten. Auch die Betriebsratsvorsitzende Bauhoff sitzt ehrenamtlich im Vorstand der Gewerkschaft. 

Huchthausen verabredet sich mit ihm beim Griechen. Der IGBCE-Mann legt während des Gesprächs einen ganzen Leitz-Ordner auf den Tisch und zeigt ihm verschiedene Fotos. Was waren das für Bilder? „Bilder von AfD-Veranstaltungen, Bilder, auf denen ich mich mit verschiedenen AfD-Politikern fotografiert habe. Nichts Illegales, natürlich keine, wo ich Steine geworfen habe oder so etwas“, lacht Huchthausen. „Ich war zunächst völlig perplex.“

Kurz zuvor sei ihm ein Mobiltelefon gestohlen worden, auf dem genau jene Bilder gespeichert waren. Wie der IG BCE-Vertraute an die Bilder gekommen sei, habe er nicht verraten. Die seien ihm eben zugespielt worden. „Dein Job steht auf dem Spiel“, habe der Gewerkschafter ihn gewarnt. „Die werden jede Gelegenheit nutzen, um dir Abmahnungen zu schicken. Das mit der AfD, laß das.“ Huchthausen denkt nicht daran. 

Doch die dunklen Prophezeiungen scheinen sich zu bewahrheiten. „Dann habe ich tatsächlich öfter Abmahnungen erhalten, deren Grund an den Haaren herbeigezogen war. Wenn ich mich beispielsweise fünf Minuten nach Arbeitsbeginn krank gemeldet habe – weil zuvor niemand den Hörer abgehoben hat – dann hieß es, ich hätte gegen die Meldepflicht verstoßen.“

Befreundete Arbeitskollegen warnen: „Das gibt Ärger“

Ende Mai dieses Jahres fährt die Mannheimer AfD bei der Kommunalwahl einen kleinen Achtungserfolg ein: Dank 9,3 Prozent der Stimmen zieht die Partei mit vier Sitzen in den Gemeinderat ein. Einer der neuen Stadträte ist Rainer Huchthausen. „Nachdem meine Kandidatur für die AfD bekannt wurde, ging sofort das Gerücht herum, daß unsere Betriebsrätin Bauhoff deswegen sehr aufgebracht war und von nun an meine Kündigung anstrebte“, erzählt der AfD-Politiker. „Sie hat als solche sehr gute Beziehungen zur Geschäftsleitung, sitzt auch persönlich im Aufsichtsrat.“

Der Grund, der das Faß zum Überlaufen gebracht haben soll, mutet absurd an: „Bei Facebook habe ich die Seite von Roche geliked.“ Befreundete Kollegen vom Werkschutz hätten ihn gewarnt: „Das gibt noch Ärger.“ „Man könnte denken, Roche wäre eine AfD-Hochburg“, habe es im Betriebsrat geheißen.

Bauhoff selbst will auf die Vorwürfe nicht eingehen. Auf Anfrage der JF erklärt die Betriebsratsvorsitzende: „Sie können davon ausgehen, daß der Betriebsrat seinen Aufgaben sehr sorgfältig nachgeht. Deshalb behandeln wir alle personellen Maßnahmen, unabhängig von der Herkunft, der Religion, des Geschlechtes oder einer Parteizugehörigkeit, nach gleichen Kriterien.“

Am 2. August stellt Roche schließlich einen Antrag beim zuständigen Integrationsamt. Huchthausen soll den Betrieb verlassen. Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist in Deutschland erst dann zulässig, wenn das Integrationsamt zugestimmt hat. Die Entlassung muß vom Arbeitgeber zunächst begründet werden. Anschließend ermittelt das Amt. Im bestmöglichen Fall schützt es den Schwerbehinderten vor Willkür. 

Der Antrag wird von Roche wie folgt begründet: „Das Arbeitsverhältnis ist zunächst 16 Jahre ungestört verlaufen. Allerdings überschreiten die seit dem Jahr 2012 angefallenen krankheitsbedingten Fehlzeiten das Übliche wesentlich. Dem Arbeitgeber sind dadurch vom 1. Januar 2012 bis 31. Juli 2019 wirtschaftliche Belastungen in Höhe von insgesamt 68.208,60 Euro entstanden.“ Das Integrationsamt sieht darin hinreichende Gründe für eine Kündigung, befragte Ärzte teilen der Behörde mit, daß auch zukünftig mit „Fehlzeiten im bisherigen Umfang zu rechnen ist“. Wie sich die Zahlen zusammensetzen, ist unklar. Zu konkreten „laufenden arbeitsrechtlichen Einzelfällen“ möchte Roche gegenüber der JF keine Stellung beziehen. 

Für Huchthausen sind die Gründe abwegig: „Curt Engelhorn, ehemaliger Besitzer von Böhringer Deutschland (der Vorgängerfirma von Roche), sagte mal: ‘Wir produzieren Gesundheit für den kranken Menschen, wir können es uns nicht leisten, Mitarbeiter zu entlassen, nur weil sie krank wurden.’ Das wurde so gelebt, auch nach dem Verkauf an Roche. Es wurde noch kein langjähriger Mitarbeiter deswegen entlassen.“ 

In den 25 Jahren seiner Tätigkeit habe er „jahrelang mit karzinogenen Lösungsmitteln gearbeitet und teilweise darin gebadet“, beklagt er sich. Somit sei er „durch die Firma krank“ geworden. Im Schreiben des Integrationsamtes heißt es, dafür gebe es keine Beweise. Huchthausen jedenfalls zeigt sich entäuscht von Roche: „Wie sagte ein Kollege kürzlich zu mir: ‘Wärst du in der SPD, hätte man dir einen anderen Job angeboten, aber niemals die Kündigung.“

Über die wird juristisch weiter gestritten werden: Laut Gesetz ist eine Entscheidung des Integrationsamtes ohne eine umfassende Anhörung des Gekündigten rechtswidrig. Hierüber scheiden sich nun die Geister: Hat das Integrationsamt Huchthausen in einem persönlichen Gespräch die Chance gegeben, sich zu erklären? Das Integrationsamt sagt: ja. Der AfD-Politiker meint: nein. 

„Ich mußte mich beim Integrationsamt melden, wo mir mitgeteilt wurde, daß meine Firma mich kündigen möchte und das Integrationsamt meine Ärzte dazu befragen müßte. Wie lange das dauere, könne man mir nicht sagen. Es wäre vorerst eine Aufklärung am Telefon, das Integrationsamt würde sich dann zum persönlichen Gespräch melden.“  Daß ohne sein Wissen schon eine abschließende Entscheidung fallen würde, habe er nicht geahnt. Im Schreiben des Integrationsamtes heißt es: „Herr Rainer Huchthausen wurde zum Antrag des Arbeitgebers gehört.“

Es ist ungewiß, wie es beruflich weitergehen soll

Huchthausen protestiert vergebens. „Da die Entscheidung bereits gefallen ist, macht ein persönliches Gespräch außerhalb eines Widerspruchverfahrens aus unserer Sicht keinen Sinn“, antwortet das Referat 32 per E-Mail. Am 15. Oktober erhält er von Roche schließlich seine offizielle Kündigung. 

Wie es nun beruflich für ihn weitergehen soll, ist ungewiß. Sogar das Integrationsamt gibt zu, daß der AfD-Stadtrat „aufgrund des Alters, der anerkannten Behinderung sowie dem Verlust des Arbeitsplatzes persönlich und finanziell schwer belastet wird“. Die Behörde rechnet mit „erheblichen Vermittlungsschwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt“. Doch sie müsse „nicht prüfen, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist“. 

Eines Unrechts ist sich Huchthausen jedenfalls nicht bewußt. „Ich habe die Pflicht und den Anspruch, für viele meiner Kollegen zu sprechen, die sich aus Angst vor Entlassung nicht trauen“, meint Huchthausen. „Leider ist das nicht mehr möglich, in einem Land, wo die freie Meinung nur noch auf dem Papier steht.“