© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/19 / 01. November 2019

Erfurt ist nicht Weimar
Landtagswahl Thüringen: Mit dem Wahlsieger AfD will keiner koalieren, deswegen dürfte eine Minderheitsregierung wahrscheinlich werden
Jörg Kürschner

Nach dem Wahldebakel der CDU in Thüringen sind die Führungsqualitäten der Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und von Kanzlerin Angela Merkel massiv in Frage gestellt worden. CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring war zunächst in die Vorwärtsverteidigung geflüchtet und hatte sich „aus Verantwortung für das Land“ zu Gesprächen mit Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bereit erklärt. Mit der Folge eines heftigen Grundsatzstreits in der CDU über ihre Wertvorstellungen, den die Wahlgewinnerin AfD als lachende Dritte begleitete. SPD und Grüne sind aufgrund ihrer Verluste vom Wähler zu Statisten degradiert worden, denn die rot-rot-grüne Mehrheit ist trotz der Zugewinne der Linken dahin. Die FDP braucht weiter starke Nerven, steht doch ihr Einzug in den Erfurter Landtag erst nach Bekanntgabe des endgültigen Endergebnisses fest.

Für Mohrings Annäherungsversuche an die Linke hatte AfD-Parteichef Alexander Gauland nur Spott übrig. „Das ist eine gute Idee, damit die CDU endgültig untergeht“, betonte der AfD-Gründer, der 40 Jahre der CDU angehört hatte. Ungerührt zitierte er die Warnung des Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, der kein Blatt vor den Mund genommen hatte. „Das wäre das Ende als Volkspartei. Wir müssen endlich Haltung zeigen. Sonst mutieren wir zu einer Karaoke-Partei.“

Doch soweit ist es noch nicht. Denn Mohring mußte bald zurückrudern. Zunächst hatte er aus Ärger über den fehlenden Rückenwind aus Berlin noch klare Kante gegen die Bundes-CDU gezeigt. „Ich brauche nicht Berlin, um zu wissen, was für Thüringen nützlich ist“, so der Thüringer. Stabile Verhältnisse seien wichtiger als parteipolitische Interessen. Und wörtlich: „Wir müssen Verantwortung übernehmen, damit das Land weiter vorankommen kann.“

Die Bundes-CDU war alarmiert. Auf einer lebhaften Vorstands- und Präsidiumssitzung wurde Mohring unmißverständlich an das Koalitionsverbot mit Linkspartei und AfD erinnert. Gleichwohl trotzte er der Bundesspitze die Zustimmung zu einem Gespräch mit Ramelow ab. Doch zeichnete sich bald ab, daß sein Vorstoß zum Scheitern verurteilt war. Kritische Stimmen wie etwa Niedersachsens CDU-Landeschef Bernd Althusmann („Eine sozialistische Partei zu tolerieren oder mit ihr womöglich zu koalieren, ist keine ernsthafte Option“) überwogen die Befürworter wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier („Mike braucht Freiheit für diese Gespräche“). Und auch Bissiges war zu hören. „Wer an dieser Stelle offen ist, ist womöglich nicht ganz dicht“, keilte Baden-Württembergs CDU-Generalsekretär Manuel Hagel in Richtung Thüringen.

Das Entsetzen über die Wahlniederlage war so groß, daß auch Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Frage gestellt wurde. Die Führungsfrage müsse jetzt geklärt werden, wagte sich Tilman Kuban vor, Vorsitzender der Jungen Union. Und weiter wörtlich: „Wenn wir so weitermachen, gibt es uns bald nicht mehr.“ „Ich bin zur Vorsitzenden gewählt worden“, konterte AKK. Zum ersten Mal seit ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden im vergangenen Dezember war ihr Führungsstil in den CDU-Gremien kritisiert worden. Keine Überraschung, daß ihr die Anspannung auf der anschließenden Pressekonferenz deutlich anzumerken war. „Wer immer meint, die Frage müsse jetzt in diesem Herbst entschieden werden, hat auf dem Parteitag im November dazu die Gelegenheit“, sagte sie mit Blick auf die Kanzlerkandidatur. 

Eine gute Gelegenheit für eine Abrechnung, dachte sich ihr Dauerrivale Friedrich Merz und nahm zugleich seine Parteifeindin Merkel in Mithaftung. Offene Attacke: „Das Erscheinungsbild der gesamten Bundesregierung ist einfach grottenschlecht.“ Die „Untätigkeit und die mangelnde Führung“ Merkels habe sich seit Jahren wie ein Nebelteppich über das Land gelegt, giftete er. „Das kann nicht so weitergehen.“

Mohrings Fehler war es, seinen Vorstoß nicht mit der Landespartei abgestimmt zu haben. So geriet in Erfurt einiges durcheinander. Landesvize Mario Voigt: „Es gibt keine Koalitionen mit der Linkspartei oder der AfD. Es darf keinen Wortbruch geben.“ Und Fraktionsvize Michael Heym wies darauf hin, daß auch eine Koalition mit AfD und FDP eine Mehrheit habe. „Man tut der Demokratie keinen Gefallen, wenn man ein Viertel der Wählerschaft verprellt.“ Da hatte FDP-Spitzenmann Thomas Kemmerich längst klargestellt, daß für ihn Koalitionen mit AfD und Linken nicht in Frage kommen. Eine CDU-geführte Minderheitsregierung aber sei vorstellbar. Im Ergebnis wurde Mohring von seiner Landespartei zurückgepfiffen. Wollte er zunächst mit „offenem Herzen“ in das Gespräch mit Ramelow gehen, wird er sich nun aus „staatspolitischer Verantwortung“ in die Staatskanzlei aufmachen.

Mohring hatte seinen Vorstoß auch mit der erstmals fehlenden Mehrheit für die „demokratische Mitte“ begründet. Diese reklamiert nach der Thüringen-Wahl nunmehr die AfD für sich. Den Aufschlag dazu machte sie auf der Bundespressekonferenz. „Er steht mitten in der Partei“, sagte Gauland über seinen Sitznachbarn zur Rechten Björn Höcke, den Repräsentanten des Flügels, der anders als die Gesamtpartei vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft wird. Den vielen kritischen Fragen stellte sich der Wahlsieger von Thüringen mit sichtbarem Unbehagen. Freimütig räumte er auch Fehler ein, etwa seine Dresdner Rede über das „Denkmal der Schande“, oder über das Fortpflanzungsverhalten der Afrikaner. 

Mit Blick auf den Parteitag Ende November in Braunschweig stellte er klar, „der Osten“ müsse im neuen Vorstand stärker repräsentiert werden. „Ich glaube, das steht uns auch zu nach diesen Wahlergebnissen“. Eine eigene Kandidatur schloß Höcke nicht aus, wenngleich er nicht sonderlich entschlossen wirkte. Drohpotential gegenüber Mitbewerbern? „Es gibt viele gute Vertreter, die das könnten“, verwies er auf den sächsischen Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla, der die Wahlnachlese im Pressesaal verfolgte. Er gilt als möglicher Nachfolger von Parteichef Gauland. Der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen, dessen Position etwa in der Rentenpolitik vom Flügel kritisch gesehen wird, fühlte sich offenbar angesprochen. Eine Kandidatur Höckes wäre nur „folgerichtig“.

„Ramelow ist von den  Rentnern gerettet worden“

Gauland machte später deutlich, daß die AfD die weitere Positionierung der CDU gegenüber der Linken aufmerksam beobachten wird. Ramelow wollte zunächst mit seinen bisherigen Koalitionspartnern sprechen. SPD und Grüne würden das Bündnis mit der Linkspartei mangels eigener Mehrheit am liebsten mit der FDP fortsetzen, die dieses Ansinnen aber klar abgelehnt hat. Nach dem vorläufigen Ergebnis hat die FDP die Fünf-Prozent-Hürde mit nur fünf Stimmen übersprungen. Bis zum 7. November, der Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses, können die Liberalen wegen der Nachzählungen daher nur mit angezogener Handbremse Entscheidungen treffen.

Gelähmt wirkt auch die Landes-SPD. Ihr Parteichef, Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee, plädiert aus naheliegenden Gründen für ein „Weiter so“. Andere wollen in die Opposition. Bedrückt haben die SPD, aber auch die Grünen registriert, daß die AfD die Wahl bei allen Altersgruppen unter 60 Jahren gewonnen hat. „Die Regierung Ramelow ist von den Rentnern gerettet worden“, hatte Höcke dazu spöttisch bemerkt.