© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/19 / 01. November 2019

Ringen um die Deutungshoheit im Netz
Der Konkurrenzkampf zwischen China und dem Westen findet auch in den Sozialen Medien statt
Christian Schreiber

Die Auseinandersetzung zwischen China und dem Westen betrifft längst nicht mehr nur Handel und Industrie. Auch die Sozialen Medien geraten ins Visier. Besonders erbittert wird um die Online-Enzyklopädie Wikipedia gekämpft. Wie die öffentlich-rechtliche britische Rundfunkanstalt BBC kürzlich berichtete, sind besonders der Konflikt um Taiwan und die Proteste in Hongkong derzeit Gegenstand von gezielten Kampagnen. Der Sender beruft sich dabei auf Informationen der taiwanesischen Wikipedia-Teams. Durch koordinierte Editier-Kampagnen sollen demnach „die Selbstkontrollmechanismen der Wikipedia-Community außer Kraft gesetzt werden“. In 22 umstrittenen Artikeln fanden BBC-Journalisten insgesamt 1.600 verdächtige Änderungen. „Viele Wikipedianer aus Taiwan wurden angegriffen“, betont Jamie Lin, Aufsichtsratsmitglied von Wikimedia Taiwan. „Einige erzählten uns, ihre persönlichen Daten seien veröffentlicht worden, weil sie anders denken. Die chinesische Regierung versucht Kontrolle auszuüben. Das ist schrecklich.“ Jamie Lin bezichtigt Peking, den Status Taiwans auf Wikipedia immer wieder zur Provinz Chinas zu ändern.

Wer kontrolliert welche Kanäle?

Die Strategen in Peking haben die globale Bedeutung der Online-Plattformen erkannt, obwohl sie innerhalb ihres Landes sehr restriktiv damit umgehen. Die internationalen Wikipedia-Ausgaben sind für Internetnutzer in China ganz, die chinesische Ausgabe zumindest teilweise geblockt.

Ein regelrechter Online-Krieg tobt auch um die Beeinflussung der sozialen Netzwerke. Im August wurden Twitter und Facebook Teil der Proteste in Hongkong. Die beiden Internetriesen sperrten daraufhin mehr als 200.000 Accounts auf ihren Plattformen, die im Verdacht standen, manipulative negative Nachrichten über die Demonstranten in Hongkong verbreitet zu haben. Hinter den Fake-Profilen sollen chinesische Behörden stecken. „Wir legen eine bedeutende staatlich unterstützte Operation offen, die auf die aktuelle Situation in Hongkong abzielt, insbesondere auf die Protestbewegung und ihre Forderung nach einem politischen Wandel“, erklärte Twitter sein Vorgehen. 

Daß nicht alle Tech-Konzerne auf Konfrontationskurs mit Peking gehen, zeigt dagegen Apple. Mit der Karten-App hkmap.live konnten Hongkonger Demonstranten die Bewegungen der Polizei ausfindig machen und die eigenen Aktionen dementsprechend koordinieren. Nach scharfen Protesten der chinesischen Regierung entfernte Apple das Programm aus seinem App-Store. 

Der Konflikt macht auch vor der Spielebranche nicht halt. Anfang Oktober disqualifizierte die ebenfalls in Kalifornien ansässige Videospielefirma „Blizzard Entertainment“ den Hongkonger E-Sportler Chung Ng Wai von einem „Warcraft“-Turnier, weil dieser in einem Interview forderte: „Befreit Hongkong, Revolution unserer Epoche.“

Obwohl Twitter in der Volksrepublik nicht verfügbar ist, hat die Regierung die Plattform als Propaganda-Portal erkannt. Mehrere staatliche Stellen haben selbst Nutzerkonten eingerichtet. Die Nachrichtenagentur Xinhua News beispielsweise verfügt mittlerweile über mehr als 12,6 Millionen Follower. Während China seine Auslandsaktivitäten in den sozialen Netzwerken ausweitet, ist im Inneren kein Umdenken erkennbar. So erhält die Deutsche Welle nach wie vor kein Büro in der Volksrepublik. Der deutsche Auslandssender verrichtet seine Berichterstattung von Taiwan aus, sehr zum Mißfallen der Machthaber in Peking. Die chinesische Regierung bevormunde ihre eigenen Landsleute, beklagte DW-Intendant Peter Limbourg im Welt-Interview. „Die deutsche Politik muß darum klarmachen, daß die Blockade gegen uns ein unfreundlicher Akt ist. Die Chinesen wollen ja alle Freiheiten Europas nutzen, sind aber nicht Manns genug zu ertragen, daß man auch andere Angebote toleriert. Das ist ein Stück weit feige.“

Doch ob sich die Mächtigen im Reich der Mitte davon beeindrucken lassen, ist fraglich. Längst hat man eigene Kanäle wie den Anbieter mobiler Kurzvideos TikTok. Die App des chinesischen Konzerns ByteDance ist mit über 1,3 Milliarden Downloads weltweit die am rasantesten wachsende Social-Media-Anwendung. TikTok ist dabei lediglich eine für westliche Länder abgeänderte Version des großen Pendants Douyin, das den strengen staatstreuen chinesischen Regeln unterworfen ist. Aber auch für das westliche Angebot hat man straffe Regularien. Laut einem Bericht des Guardian sollen Videos in einem Zwei-Stufen-System entweder in ihrer Reichweite gedrosselt oder komplett zensiert werden, wenn sie von kritischen Themen wie dem Tiananmen-Massaker, der Unabhängigkeit Tibets oder der Sekte Falun Gong handeln. 

Unter „Proteste in Hongkong“ findet man ebenfalls kaum Beiträge, auch wenn das Unternehmen stets betont, keine Inhalte zu dem Thema zu entfernen. Unlängst überraschte TikTok mit der Mitteilung, künftig keine bezahlte Werbung mit politischen Inhalten mehr zuzulassen. Offizielle Begründung: Man wolle das Plattformerlebnis nicht schmälern. Allerdings verhindert man auf diese Weise eben auch, daß kritische Inhalte geschaltet werden können.