© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Weicher Brexit, harter Brexit, gar kein Brexit?
Großbritannien: Die auf den 12. Dezember vorgezogenen Unterhauswahlen könnten erneut unklare Mehrheitsverhältnisse bringen
Josef Hämmerling

Eine ruhige Vorweihnachtszeit wird es in Großbritannien nicht geben: Am 12. Dezember finden die 49. und erneut vorgezogenen Unterhauswahlen statt. Diese waren notwendig geworden, nachdem es bei der Abstimmung über das von Premierminister Boris Johnson mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen keine Mehrheit gab und sich Brexit-Gegner wie auch -Befürworter regungslos gegenüberstanden. Nachdem die linke Labour-Partei die Versuche der konservativen Regierungspartei nach einem neuen Urnengang immer ablehnte, mußte Oppositionsführer Jeremy Corbyn dem Druck nachgeben, denn schließlich forderten die Parteimitglieder schon seit vielen Monaten Neuwahlen und wurde das Unverständnis in der Bevölkerung immer lauter. So stimmte das Unterhaus dann am 30. Oktober mit 438 zu 20 Stimmen für eine Neuwahl am 12. Dezember. Corbyn begründete seinen Sinneswandel mit der Verlängerung der EU-Austrittsverhandlungen bis zum 31. Januar 2020.

Der Wahlkampf fing dann auch sofort am 31. Oktober an. Während Labour dem britischen Premierminister vorwarf, seine Zusage, Großbritannien werde am 31. Oktober aus der EU ausscheiden, „komme was wolle“, nicht einhalten zu können, warf Johnson seinerseits dem Parlament vor, die Entscheidung der Bevölkerung, die sich am 23. Juni 2016 für den Brexit aussprach, aus parteipolitischen Gründen mißachtet und damit der Demokratie großen Schaden zugefügt zu haben.

„Diese Verschiebung schadet Großbritannien. Wenn wir Mitte Dezember wieder an der Regierung sind, werden wir den ausgehandelten Deal bestätigen und das Geld, das dann nicht mehr an die EU abgeführt werden muß, lieber für das britische Volk ausgeben, besonders auch für das Gesundheitswesen“, betonte der 55jährige Tory-Füher. Genau umgekehrt sieht es natürlich die Opposition. So kündigte Corbyn an: „Wir werden jetzt die ehrgeizigste und radikalste Wahlkampagne starten, die unser Land jemals gesehen hat.“

„Widersprüche des EU-Austritts werden klarer“

Die Deutsch-Britin Wera Hobhouse, einst Tory-Mitglied und seit 2017 für die Liberaldemokraten im Unterhaus, hält den Ausgang der Neuwahl für offen. Allerdings rechne sie mit starken Stimmengewinnen für ihre Partei, sagte sie dem SWR: „Diese Wahlen sind ein zweites Brexit-Referendum. Die vielen Widersprüche eines EU-Austritts werden immer klarer, und es kann durchaus sein, daß sich die Wählerschaft hinter einen Verbleib in der EU stellen wird.“

Boris Johnson erhofft sich durch die Wahl eine klare Mehrheit für die Konservativen, so daß er auch ohne den bisherigen Koalitionspartner, die nordirische Democratic Unionist Party (DUP), eine Regierung stellen kann. Diese hatte nämlich den neuen von ihm ausgehandelten Brexit-Deal abgelehnt, da der sogenannte Backstop modifiziert wurde. Die DUP besteht darauf, daß Nordirland ebenso wie England, Schottland und Wales aus der EU austritt, während das Abkommen zur Verhinderung einer neuen harten Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland einen zumindest teilweisen Verbleib in der Zollunion vorsieht. Würden die Torys mit einer Mehrheit von 25 bis 30 Stimmen ins neugewählte Unterhaus einziehen, wäre die Zustimmung für den Johnson-Deal sicher. Bislang fehlten dem britischen Premier 24 Stimmen für den Brexit-Vertrag. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge würden die Torys derzeit auf 39 Prozent der Stimmen kommen, Labour auf 27 Prozent. Damit hätte sich der Abstand der beiden großen Parteien binnen weniger Wochen allerdings um sechs Prozentpunkte verringert. Die Liberalen kommen danach auf 16 Prozent und die Brexit-Partei von Nigel Farage auf sieben Prozent. Da es in Großbritannien eine reine Mehrheitswahl gibt, sagen diese Stimmenanteile aber nichts über die Sitzverteilung aus, da der Gewinner des jeweiligen Wahlkreises in das Unterhaus einzieht, die anderen Stimmen verfallen. So bot Farage den Torys an, in engen Wahlkreisen auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten, wenn Johnson sich zu einem harten Brexit verpflichten würde. Dieser lehnte das Angebot aber ab – was Johnson vielleicht die Mehrheit kosten könnte.

Aktuelle Umfragen in Großbritannien:  whatukthinks.org/eu