© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Rückkehr des Untertanen
Haltung zeigen: Restle, Reschke & Co. oder der urdeutsche Drang zur Kollektivmeinung
Wolfgang Müller

Das Allerweltswort „Haltung“ macht derzeit erstaunliche Karriere. Vorneweg sind es „Medienschaffende“ des Staatsfunks, mitten im Strom paddelnde Lemuren wie Anja Reschke und Georg Restle, die sich einer somnambul „gegen Rechts“ gerichteten, auf die Katastrophenpolitik Angela Merkels geeichten Haltung rühmen und diese zu regierungsfrommer Nachahmung andienen.

Wobei dieses abstoßend obszön ungebildete Personal nicht einmal ahnt, in welchen ideologischen Untiefen es mit seiner Haltungshuberei gründelt. Denn semantisch ist der Begriff verstörend vieldeutig, wie uns das Grimmsche Deutsche Wörterbuch im zehnten Band belehrt, wo wir zuerst auf die seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlichste Verwendung stoßen, die im militärischen Jargon. Der Soldat, der Haltung annimmt, steht auf Befehl starr in Reih und Glied. Eine Körperdressur, die sich für den  Zivilisten auf Untertanengeist reimt. 

Schon gefälligere Assoziation löst der Wortsinn aus, wenn die Betonung, wie bei der verwandten französischen Contenance, zwischen Gefaßtheit und Gelassenheit pendelt. Die Wendung, „sie ist eine frau von haltung“, so die lexikalische Auskunft in traditioneller Kleinschreibung, charakterisiere „das gemessene würdige verhalten beim umgange mit andern“. Das scheint indes weit entfernt von den Emotionen, die Haltungsjournalisten aufputschen wollen, um politisches Engagement zu entfesseln.

Intellektuelle Unselbständigkeit

Doch Haltung kennt das Wörterbuch auch in solch „gesteigerter form“, als „festes, energisches verhalten“. Was zumeist einhergehe mit geistiger Unbeweglichkeit und Anspruchslosigkeit. Die wiederum aus innerer Unsicherheit und intellektueller Unselbständigkeit resultiert, wie sie Dogmatikern, Hysterikern und Pharisäern eigen ist: „man erbaut aus weisen maximen eine mauer um sich, welche die eigene haltungslosigkeit decken soll“, wird aus der „Diätetik der Seele“ (1838) des österreichischen Mediziners, Dichters und demokratischen Kulturpolitikers Ernst Freiherr von Feuchtersleben (1806–1849) zitiert, der in 50 Auflagen verbreiteten, beliebtesten psychologischen Hausapotheke des 19. Jahrhunderts.

Von so subtilen Beobachtungen ist es nur ein gedanklicher Katzensprung in die 1930er, hin zur US-Sozialpsychologie, die sich damals für Haltung als Massenphänomen zu interessieren begann und mithalf, das Fundament  der Meinungsforschung zu gießen. „Attitude“ (Einstellung) vereint in der US-Terminologie „Stimmung und Haltung“. Stimmung beschreibt die spontane, aus Gefühlen gespeiste Meinung von kurzer Haltbarkeit. Die dauerhaftere Meinung erwächst indes aus der Haltung, einer durch langjährige Erziehung und Erfahrung geprägten Gemütsverfassung. Sie ist der eigentliche Angelpunkt der Denkweisen und Wertungen, die, verfestigt zur „Gesinnung“, die Handlungen eines Menschen motivieren und steuern.

Ein politisches System, gleichgültig ob demokratisch drapiert oder autoritär, das zwecks Herrschaftsstabilisierung an die Haltung der Beherrschten appelliert, setzt also keineswegs auf die Persönlichkeit des von Theodor W. Adorno idealisierten „mündigen Bürgers“, sondern auf dessen von Feuchtersleben antizipierten Antipoden, den von der Frankfurter Schule konstruierten „autoritären Charakter“ mit seinen in Generationen antrainierten, relativ unveränderlichen Verhaltensdispositionen. Wer derart Haltung einfordert, lechzt also nach der Rückkehr des Untertanen. 

Und findet sich mit Konsequenz in der Gesellschaft von Joseph Goebbels wieder, des berühmtesten Haltungspredigers der jüngsten Vergangenheit. Nach dem Muster der US-Demoskopie unterschied der NS-Propagandaminister während des Zweiten Weltkrieges zwischen flüchtiger, im „Meckern“ über Versorgungsmängel, Parteibonzen oder angloamerikanischen Bombenterror versickernder Stimmung, die heftig schwankte, aber für das Regime ungefährlich war, und der Haltung, die bis Kriegsende stabil blieb, weil sie auf verinnerlichten, zur zweiten Natur gewordenen preußischen Tugenden wie Gehorsam und Pflichterfüllung beruhte, die sich unter Goebbels‘ „wehrgeistiger Führung“ bestens zum kollektiven „Endsieg“-Willen formen ließen. 

Während Restle & Co. wieder haltungsgeil jenem urdeutschen „Drang zur Kollektivmeinung“ (Michael Klonovsky) frönen, Neutralität und Objektivität als Relikte aus dem öffentlich-rechtlichen Neolithikum eilends als irgendwie „Nazi“ verabschieden, hält das Bundesverfassungsgericht in seinem Rundfunkurteil vom Juli 2018 autistisch am von jeher wirklichkeitsfremden Berufsbild des unparteilichen Journalisten fest. Indoktrinieren ihre Schützlinge längst emsig Meinungen am Fließband und turnen Haltungen vor, begründen die Karlsruher Richter die „Demokratieabgabe“ für die GEZ-Medien unverdrossen damit, daß ARD und ZDF im Unterschied zu den Privaten „sorgfältig recherchierte Informationen“ anböten, die den „Filter professioneller Selektion“ und des „verantwortlichen, Fakten und Meinungen auseinanderhaltenden journalistischen Handelns“ passiert hätten.

Was wären die Haltungsjournalisten der realexistierenden Postdemokratie ohne ihre Haltungsjuristen!