© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Schöner Siegen über dem Pazifik
Kino: „Midway – Für die Freiheit“ von Regisseur Roland Emmerich
Dietmar Mehrens

Die Schlacht Anfang Juni 1942 um die Midway-Inseln im äußersten Westen von Hawaii gilt als entscheidender Wendepunkt im Pazifikkrieg. Nach dem erfolgreichen US-Angriff einer Bomberstaffel auf Tokio, der als erster Vergeltungsschlag der US-Streitkräfte für den Angriff auf Pearl Harbor verstanden werden sollte, geriet Midway ins Visier der Kaiserlich Japanischen Armee. In einer waghalsigen Aktion war im April 1942 zudem eine Staffel schwerer B-25-Bomber von der USS Hornet aus gestartet und hatte nach dem Angriff auf Japan versucht, die chinesische Provinz Zhejiang zu erreichen (Grund dafür, daß für diesen Film auch chinesische Produktionsgelder fließen konnten). 

Um weitere Luftschläge dieser Art zu unterbinden, beschloß der japanische Admiral Yamamoto den Angriff auf die Midway-Inseln. Ziel war es, die US-Marine zu einer Schlacht zu zwingen, in der ihre beiden letzten funktionstüchtigen Flugzeugträger, die USS Hornet und die USS Enterprise, zerstört werden sollten, um die endgültige Vorherrschaft im Pazifik zu erlangen. Die Amerikaner konnten jedoch drei entscheidende Punkte zu ihren Gunsten entscheiden. Zunächst glückte es der US-Funkaufklärung, den japanischen Code für Midway zu entschlüsseln. Zweitens bekamen sie den zuvor schwer beschädigten Flugzeugträger Yorktown notdürftig wieder flott. Und drittens spürte Wade McClusky, Kommandant der Sturzbomberstaffel der Enterprise, die japanische Flotte mit drei von vier Flugzeugträgern – Akagi, Kaga und Soryu – genau zur rechten Zeit auf. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Torpedobomber des von Admiral Nimitz befehligten Marineverbandes wenig gegen die japanischen Angreifer ausrichten können. Die zahlenmäßig überlegenen Japaner hatten sie in Scharen vom Himmel geholt. 

Auf die Sturzkampfbomber der Enterprise und der Yorktown aber waren die japanischen Abwehrjäger nicht eingestellt. Innerhalb weniger Minuten verlor die japanische Flotte drei Träger. Besonders schmerzlich war der Verlust der Akagi. Der Stolz der japanischen Flotte wurde so schwer getroffen, daß die Japaner ihn schließlich selbst versenkten, eine der ergreifendsten Szenen des Films. Der letzte verbliebene Flugzeugträger der Japaner, die Hiryu, sah sich jetzt der Übermacht von Enterprise, Hornet und Yorktown gegenüber.

Emmerich bietet erwartbar viel Raum für Klischees

Nachdem es über das entscheidende maritime Kräftemessen im Zweiten Weltkrieg bereits 1976 mit „Schlacht um Midway“ einen mit Stars gespickten Kinofilm gab, hat sich nun der „Spielberg aus dem Schwabenländle“, Roland Emmerich, des Stoffes angenommen. Eine naheliegende Wahl. Schließlich hat der gebürtige Stuttgarter bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt, daß er beides kann: patriotisches Pathos und große Katastrophe, Pathos wie in „Der Patriot“ (2000), Katastrophe wie in seinen Endzeitdramen „The Day after Tomorrow“ (2004) und „2012 – Das Ende der Welt“ (2009). In „Midway – Für die Freiheit“ konnte der Regisseur nun die beiden Pole seines künstlerischen Schaffens zusammenführen und es dabei ordentlich krachen lassen.

Seine Filmhelden sind zugleich Helden der amerikanischen Geschichte. Und fast alle sind Draufgänger, wie man sie aus jedem Western kennt: Admiral Nimitz (Woody Harrelson), Admiral Halsey (Dennis Quaid) und Lieutenant Colonel Doolittle (Aaron Eckhart) sind ebenso vortreffliche Aushängeschilder ihrer Nation wie die wagemutigen Kampfpiloten Wade McClusky (Luke Evans) und Dick Best (Ed Skrein), die stellvertretend für all die Namenlosen stehen, die im Pazifikkrieg ihr Leben verloren. Hinter ihnen werden gelegentlich Frauen sichtbar, die nicht wie heute üblich ihren gleichberechtigten Willen durchzuboxen suchen, sondern sich, wie Mandy Moore als Anne Best, in stillem Verzicht üben – ihre Art, patriotisch zu sein. 

Emmerichs Methode, mit Filmbildern Geschichten zu erzählen, läßt erwartbar wenig Raum für präzise Figurenzeichnung, wie sie den Klassiker „Verdammt in alle Ewigkeit“ von 1953 oder auch Clint Eastwoods neueren Versuch „Letters from Iwo Jima“ (2006) auszeichnet, und sie läßt erwartbar viel Raum für Klischees und atemberaubende CGI-Effekte. Die aber lassen den Film, gerade in den spektakulären Sequenzen, eher an ein Computerspiel als an ein Antikriegsdrama erinnern. Emmerich ist wieder einmal der Verführung des technisch Möglichen erlegen. Die Künstlichkeit der Computeranimationen sorgt für eine Distanzierung von den erzählten historischen Ereignissen, die Cineasten für kontraproduktiv halten werden und Pazifisten für zynisch. Der Versuch, wie in Eastwoods Iwo-Jima-Film die japanische Perspektive zu würdigen, wirkt alibihaft: Die Zerstörung der Yorktown verkommt zur Randnotiz, weil sie den patriotischen Grundton torpediert hätte.

Weniger kritische Gemüter – namentlich die meist jugendlichen Anhänger des sogenannten Ereigniskinos – dürften von der bombastischen Bild- und Tonkulisse förmlich umgehauen werden. Und selbst der kritischste Zuschauer wird zugeben müssen, daß Emmerich aus den von ihm geradezu zelebrierten Angriffen der Sturzkampfbomber auf Akagi, Kaga, Soryu oder Hiryu das Maximum an Wirkung herauspreßt. Wenn Best und McClusky im Sturzflug auf das Flaggschiff der japanischen Kriegsflotte zurasen, wird der Kinosessel zum Schleudersitz und befördert einen mitten hinein ins Fliegercockpit.