© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/19 / 08. November 2019

Glaubenstief und sendungsbewußt
Zukunftsfrohe Protestanten, bedrückte Katholiken: Zur Lage der Christen in China
Dirk Glaser

Im April 2018 weigerte sich eine der großen protestantischen Hauskirchen Chinas, die Pekinger Zion-Kirche, sich amtlich registrieren zu lassen und die Installation von Überwachungskameras zu dulden, wie es gemäß der gerade in Kraft getretenen neuen „Vorschriften zur Regelung religiöser Angelegenheiten“ ihre Pflicht gewesen wäre. Das atheistische Regime reagierte auf diese „Provokation“ prompt und hart: Der Gemeinde wurden Strom und Wasser abgestellt, und einige Monate später beendeten Sicherheitskräfte dort den letzten Gottesdienst.

Der chinesische Staat meint es mit seiner in der Verfassung garantierten Glaubensfreiheit offenbar nicht ernst. So mehrten sich im Frühjahr 2018 die behördlichen Übergriffe in Henan. Attacken auf Kreuze und als „westlich“ denunzierte Ornamente, Skulpturen, Schriftzüge richteten sich dort gleichermaßen gegen registrierte wie nichtregistrierte Kirchen. Mancherorts schreckte die Obrigkeit in dieser Provinz auch nicht davor zurück, Kirchengebäude abzureißen, Kinder gewaltsam aus Gottesdiensten und Messen zu entfernen. Ähnliche Berichte kamen aus den Provinzen Shandong, Hebei, Jiangxi.

Isabel Friemann von der „China-Infostelle“ des Zentrums für Mission und Ökumene der Nordkirche, die diese von Ferne an den „Kirchenkampf“ nach 1933 erinnernde Chronik der Konflikte referiert, die Staat und Kirche in China ausfechten, sieht trotzdem keinen Anlaß zur Schwarzmalerei (zeitzeichen, 6/2019). Im Gegenteil. Das von „außerordentlicher Glaubenstiefe geprägte chinesische Christentum“ erlebe derzeit eine Blütephase. Offiziell gibt es allein 38 Millionen protestantische Christen, verteilt auf 170 offizielle Kirchen; inoffizielle Schätzungen kommen auf weit höhere Zahlen. Ein beachtlicher Zulauf sei zu registrieren, der sich einerseits aus der sinnstiftenden Attraktivität der christlichen Religion selbst erklärt. Andererseits spielen dafür externe Faktoren eine Rolle, die aus der ambivalenten Kulturpolitik der Staats- und Parteiführung resultieren. 

Denn seit dem Machtantritt des KP-Generalsekretärs und Staatspräsidenten Xi Jinping (2012) gilt Religion als wichtiges Instrument zur Herrschaftssicherung im Innern wie zur Einflußnahme nach außen. Aus Xis Sicht trägt auch die christliche Religion dazu bei, den einzelnen gemeinschaftstauglich zu erziehen und auf das Leben in der „harmonischen Gesellschaft“ des Vielvölkerstaates zu verpflichten. Ebenso wie sich ihre Duldung als nützlich erweist, um in der auswärtigen Kulturpolitik für China, die dominante „Weltmacht des 21. Jahrhunderts“, als modernen und aufgeklärten Staat zu werben.

Der Vatikan empfahl eine behördliche Registrierung

Die Neuregelungen vom Februar 2018 mit ihrem Registrierungszwang, ihrem Verbot, Spenden aus dem Ausland anzunehmen und ihrer Beschränkung religiöser Schulung auf Erwachsene, um das staatliche Erziehungsmonopol abzusichern, sind für Friemann zwar ein Rückschritt an Liberalität, verglichen mit dem „Christentumsfieber“ in der ersten Phase der protestantischen Renaissance zwischen 1980 und 2000. Trotzdem würden die fester gezurrten Fesseln der ideologischen Kontrolle Raum zu weiterer kräftiger Entfaltung lassen. Zumal bei geschmeidiger Anlehnung an die von Xis Politik geförderte Rückbesinnung und Identifizierung mit Chinas alter Kultur, einer Neuverwurzelung im Eigenen, die Peking als unabdingbar für seine Weltmachtstellung erkannt hat.

Wenn deswegen jetzt kulturelle Traditionen hoch im Kurs stünden, Mond- und Drachenbootfeste als Feiertage wieder den Kalender zieren, könnten sich Protestanten mit moderater „Sinisierung“ ihrer Religion dem anpassen, vom Aufstellen der roten Parteifahne in religiösen Stätten bis zur Verwendung von Referenztexten aus dem konfuzianisch-klassischen Kulturkreis in ihren Predigten. Den glücksverheißenden Drachen der chinesischen Überlieferung etwa, den sollte man dann im biblischen Kontext nicht mehr nur als Symbol des Teufels vermitteln. Zum Abschluß ihres Lageberichts wagt Isabel Friemann eine optimistische Prognose: „Durch die große absolute Zahl der Gläubigen, ihr starkes Sendungsbewußtsein und die internationale chinesische Community wird der Einfluß des chinesischen Christentums auf die Entwicklung des Christentums weltweit in der Zukunft zunehmen.“

In diese protestantisch-zukunftsfrohe Lagebeurteilung mag der in Peking lebende Übersetzer Marcus Loewe für die wesentlich kleinere, etwa vier Millionen Gläubige umfassende Minderheit katholischer Christen in China nicht einzustimmen (Herder-Korrespondenz, 9/2019). Auf ihnen laste verstärkt staatlicher Druck, was sie paradoxerweise Papst Franziskus und dessen überraschendem Kurswechsel in der China-Politik zu „verdanken“ hätten. Im Juni dieses Jahres empfahl der Vatikan in neuen „pastoralen Leitlinien“ allen Bischöfen und Priestern in China, sich behördlich registrieren zu lassen. Was bedeutet, eine Erklärung abzugeben, in der sich die Kleriker zur „Unabhängigkeit“ ihrer Kirche bekennen müssen. Das klingt harmlos, meint aber die Unabhängigkeit von Rom und damit die Unterwerfung unter die kommunistische Staats- und Parteiführung, wie sie seit 1957 in der regimenahen „Patriotischen Vereinigung“ üblich ist, der beizutreten der Vatikan chinesischen Katholiken jahrzehntelang ausdrücklich verboten hatte. Was viele Mitglieder der offiziell geächteten „Untergrundkirche“ mit langen Haftjahren im Arbeitslager bezahlten. Die päpstliche Annäherung an das atheistische Regime nimmt ihnen jetzt den Rückhalt und mutet ihnen „im Interesse der Einheit“ den Opportunismus zu, wie ihn die staatsfromme Patriotische Vereinigung pflegt. 

Für Marcus Loewe schwächt diese „Appeasement-Politik“ des Vatikan die katholische Kirche im Reich der Mitte und fördert faktisch den unverändert kompromißlosen Totalitarismus der KP Chinas. Nach wie vor wolle die Partei das „alte kommunistische Ideal der ganz gleichgeschalteten Gesellschaft verwirklichen“. Wie die Medien solle auch die Gesellschaft mit einer Stimme sprechen. „Die Behörden würden es daher am liebsten sehen, wenn wir (…) gar nicht da wären“, zitiert Loewe aus Gesprächen mit nonkonformistischen Priestern.