© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Höllenjob Politiker
Peter Möller

Es waren beklemmende Bilder: Am Ende seiner Rede verstummte der CDU-Bundestagsabgeordnete Mat-thias Hauer am Donnerstag vergangener Woche plötzlich und begann zu zittern. Herbeigeeilte Kollegen stützten den 41jährigen und halfen ihm, sich auf den Boden zu legen. Die Plenarsitzung wurde unterbrochen und Hauer ärztlich versorgt. Wenige Stunden nach dem Schwächeanfall des CDU-Politikers der nächste Notfall. Eine Abgeordnete der Linkspartei brach während einer Abstimmung zusammen und soll minutenlang bewußtlos gewesen sein.

Zumindest für die Linksfraktions-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg war das alles kein Zufall: „Für mich Anlaß, noch einmal zu erklären: die Arbeitsbedingungen im Bundestag sind menschenfeindlich“, ließ sie über Twitter wissen und verwies darauf, daß es Abgeordneten verboten sei, im Plenarsaal zu trinken. „Nicht einmal Wasser ist erlaubt“, empörte sich Domscheit-Berg. Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach, der als Arzt seinem Kollegen Hauer geholfen hatte, bietet eine ganz andere Erklärung: Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag verliere das Parlament zuviel Zeit mit überflüssigen Debatten und Symbolentscheidungen. „Als der Kollege Matthias Hauer zusammengebrochen ist, debattierte der Bundestag gerade den Antrag der AfD zur Rettung des Bargeldes. Dabei will das niemand im Parlament abschaffen“, sagte Lauterbach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Solche Debatten gelte es zu vermeiden.

Selbst wenn derlei einschneidende Änderungen der Rechte der Opposition derzeit nicht auf der Tagesordnung stehen, werden die beiden medizinischen Notfälle nicht ohne Folgen bleiben. Als Konsequenz soll der Plenarsaal künftig mit einem Defibrillator ausgestattet werden. Auch in die Debatte über den Zeitplan ist Bewegung gekommen. Bislang war es vor allem die AfD-Fraktion, die gefordert hatte, Sitzungszeiten des Bundestages zu erweitern, um donnerstags Nachtsitzungen zu vermeiden. Zudem will die AfD künftig verhindern, daß Ausschußsitzungen parallel zu den Plenardebatten stattfinden, um so die Präsenz im Plenum zu erhöhen. Die anderen Parteien hatten das bislang als unpraktikabel abgelehnt. Nun heißt es plötzlich, der Mittwoch in den Sitzungswochen, an dem bislang ab Mittag lediglich die Fragestunde und eine aktuelle Stunde auf dem Programm standen, könnte zu einem vollwertigen Plenartag werden und bereits um 9 Uhr beginnen. Daß die bisherigen Regelungen „menschenfeindlich“ sind, wollten die Verantwortlichen indes nicht bestätigen, vermutlich aus Rücksicht auf Stahlarbeiter, Krankenpfleger und alle anderen Wähler mit körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten, die für die angeblich unmenschlichen Arbeitsbedingungen ihrer Volksvertreter nur ein müdes Lächeln übrig haben dürften.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) griff unterdessen einen Kritikpunkt von Domscheit-Berg auf: „Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß 20 Meter von Ihnen entfernt ein Wasserspender steht, an dem Sie sich kostenlos bedienen dürfen. Hier muß niemand verdursten im Plenarsaal.“