© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

Wolfgang Harichs Beziehung zu Arnold Gehlen
Bewunderter Feind
(wm)

Wie der Ernst-Bloch-Schüler Günter Zehm bezahlte auch der Philosoph und Kulturpolitiker Wolfgang Harich (1923–1995) seine 1956 durch den Volksaufstand in Ungarn ermunterte SED-Kritik mit langjähriger Zuchthausstrafe. Doch anders als Zehm, der 1961 freikam und in den Westen wechselte, blieb der von Bloch und Georg Lukács inspirierte Harich nach seiner aufgrund einer Amnestie vorzeitigen Haftentlassung in der DDR, dem „Prinzip Hoffnung“ huldigend, das SED-Regime werde einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ kreieren. Von der Realität zwar keines Besseren belehrt, gefiel sich der zum „Ökostalinisten“ gewandelte unorthodoxe Marxist aber als origineller Paradiesvogel und Narrenfreiheit genießender Grenzgänger zwischen den Ideologien.

Davon zeugen auch die von Andreas Heyer als Appetitanreger zum elften und letzten, Ende des Jahres erscheinenden Band der Werkausgabe vorab veröffentlichten Dokumente über Harichs Beziehung zu dem konservativen Soziologen Arnold Gehlen (Berliner Debatte Initial, 2/2019). Drei Jahre nachdem er laut eigener Auskunft Gehlens Buch „Der Mensch“ – ein Klassiker der philosophischen Anthropologie – gelesen hatte, nahm Harich 1952 erstmals Kontakt zu dem Denker auf, als er ihn einlud, eine Professur an der Ost-Berliner Humboldt-Universität zu übernehmen. Das schwierige, aber belastbare Verhältnis zweier weltanschaulicher Antipoden endete erst 1976 mit dem Tod des „bewunderten Feindes“ Gehlen, den Harich in einem von Heyer mitgeteilten Kondolenzschreiben als „weltweit letzten bedeutenden Denker des Konservatismus“ rühmte. 

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