© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/19 / 15. November 2019

Unterschiedliche Zukunftsbilder
Norweger in der Waffen-SS: Eine Studie des Historikers Sigurd Sørlie ist jetzt auf deutsch erschienen
Jürgen W. Schmidt

Von den rund drei Millionen Norwegern dienten während des Zweiten Weltkrieges etwa 4.500 Freiwillige bei der Waffen-SS. Selbst am Endkampf um Berlin im April 1945 waren 50 Norweger beteiligt, und 850 bis 900 Norweger sind als Soldaten der Waffen-SS gefallen. Im Gegensatz etwa zu den dänischen Waffen-SS-Freiwilligen, welche zu erheblichen Teilen der Arbeiterklasse entstammten, kamen die norwegischen Freiwilligen vorwiegend aus den urbanen Mittelschichten sowie aus Kreisen von Studenten und Oberschülern. Als Motiv diente ihnen überwiegend die gebotene Möglichkeit, gegen die Sowjetunion zu kämpfen, die seit dem Finnlandkrieg von 1939/40 in Norwegen als Bedrohung galt. Daneben lockten natürlich auch Abenteuerlust und die seit 1942 bestehende Aussicht, als Waffen-SS-Angehöriger die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten und danach eventuell als „Wehrbauer“ mit 20 bis 30 Hektar Boden im Osten angesiedelt werden.

Bei der SS-Führung hatten sie nicht den besten Ruf

Als hinderlich bei der Freiwilligenwerbung erwiesen sich jedoch „besonders die nationalistischen Motive und Einstellungen“ der Norweger, schreibt der Historiker Sigurd Sørlie, Professor am Norwegischen Institut für Verteidigungsstudien, in seiner nunmehr in deutscher Übersetzung vorliegenden Untersuchung über Norweger in der Waffen-SS zwischen 1941 und 1945. Auch wenn die Mehrheit der Freiwilligen „von Anfang an mit Hitler, dem Deutschen Reich und dem Nationalsozialismus sympathisierte“, habe ihr  Hauptinteresse jedoch darin gelegen,  die Visionen der faschistischen Nasjonal Samling (Nationale Vereinigung) unter ihrem Gründer und Parteiführer Vidkun Quisling „zu verwirklichen und ein starkes, politisch ‘neu geordnetes’ und möglichst selbständiges Norwegen zu erschaffen“, so Sørlie. Damit seien sie in der Waffen-SS „auf eher begrenztes Verständnis“ gestoßen, weshalb die Freiwilligen „immer mehr zwischen die Fronten zweier rivalisierender Organisationen und Zukunftsbilder gerieten“. 

Hinzu kam, daß die Norweger im Rahmen der Waffen-SS niemals in einem eigenen großen norwegischen SS-Verband zusammengefaßt wurden, sondern aufgesplittert auf die SS-Panzer-Division „Wiking“, die Legion „Norge“ sowie in speziellen norwegischen SS-Ski-Jäger-Kompanien dienten. Bei der SS-Führung genossen die Norweger nicht den besten Ruf, weil sie häufig als zu „weich“ galten, seltsamerweise im Winter 1941/42 mit der russischen Kälte schlechter als deutsche Soldaten zurechtkamen und es bei Norwegern im Vergleich zu anderen ausländischen SS-Freiwilligen häufiger zu Selbstverstümmelungen, Desertionen und sogar zu dem bei der Waffen-SS eigentlich ungebräuchlichen Überlaufen zur Roten Armee kam. Zudem pochten die Norweger sehr hartnäckig auf die Einhaltung abgeschlossener Dienstverträge und ließen sich nach jeweils ein bis zwei Jahren Freiwilligendienst nicht zu etwaigen Dienstverlängerungen nötigen.

Indessen ergeben die von Sigurd Sørlie eingesehenen Briefe und Tagebücher von norwegischen SS-Freiwilligen, daß diese ebenso wie andere SS-Soldaten vom Glauben an rassische Überlegenheit, Antisemitismus und Antibolschewismus beseelt waren und sich an Kriegsverbrechen beteiligten. Für seine Studie konnte er neben Dokumenten aus norwegischen, britischen und deutschen Archiven auch Unterlagen aus dem für deutsche Forscher häufig unzugänglichen Militärhistorischen Archiv in Prag sichten. „Insgesamt zeigt sich“, so Sørlie, „daß es der SS nicht gelang, ihre Erziehungsziele bei den Freiwilligen aus Norwegen zu erreichen“.

Sigurd Sørlie: Sonnenrad und Hakenkreuz. Norweger in der Waffen-SS 1941–1945. Schöningh Verlag, Paderborn 2019, gebunden,  545 Seiten, Abb. und Karten , 49,90 Euro