© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Zitterpartie um eine Milliardeninvestition
Energiepolitik I: Das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 soll doch noch ans Netz gehen / Hoher Wirkungsgrad durch Kraft-Wärme-Kopplung
Marc Schmidt

Nach dem Grünen-Parteitag in Bielefeld wurde darüber spekuliert, ob Robert Habeck oder Annalena Baerbock nach der nächsten Bundestagswahl ins Kanzleramt einzieht. Die energiepolitische Selbstbeweihräucherung, die radikalen Maximalforderungen zur „CO2-Bepreisung“ oder zum simultanen Ausstieg aus Kernenergie und Kohleverstromung werden kaum noch kritisch hinterfragt.Und bei einem Fünftel der Wähler in Deutschland liegen die Grünen damit wohl goldrichtig.

Eine Stunde Autofahrt vom Jubel-Parteitag entfernt steht die Realität: Deutschlands modernstes Steinkohlekraftwerk Datteln 4 am Nordrand des Ruhrgebiets. Ein Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums und Armin Laschet, Chef der CDU/FDP-Landesregierung, sind für die Inbetriebnahme. Ironischerweise profitiert der schwarz-grüne Linkskatholik dabei vom Rückgrat seiner Vorgängerin Hannelore Kraft (SPD), die ihrem damals kleinen grünen Koalitionspartner die Genehmigung des „Klimakillers Datteln 4“ (BUND: „30 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß bis 2038“) abrang. Die 1,5-Milliarden-Investition von Uniper (früher Eon) wird als große Monoblockanlage mit einer Bruttoleistung von 1.100 Megawatt (MW) betrieben.

Verläßlich und zukunftsorientiert

Der Wirkungsgrad der Verfeuerung von 45 Prozent wird durch Fernwärme für Industrie und Haushalte auf 60 Prozent gesteigert. Die Wärmeversorgung für mehr als 100.000 Personen sorgt für hohe regionale Zustimmungswerte zu der geplanten Inbetriebnahme im Sommer 2020. Das ist weit mehr als Industrieromantik. Noch unter Kanzler Gerhard Schröder wurde in NRW für den Einsatz von Steinkohle geworben. Auf Plakaten priesen Promis wie Marius Müller-Westernhagen, Otto Rehhagel oder Armin Rohde im Auftrag der Deutschen Steinkohle AG (RAG) den – inzwischen nur noch importierten – Energierohstoff als regional, verläßlich und zukunftsorientiert. Die Großkampagne 2005 fiel zeitlich zusammen mit der Antragsprüfung für den Bau von Datteln 4 und deren Genehmigung durch die damalige CDU/FDP-Landesregierung unter Jürgen Rüttgers.

Da diese erfolgreich von Umweltverbänden beklagt wurde, war es die anschließende rot-grüne NRW-Landesregierung, die 2012 eine Sondergenehmigung und im Januar 2017 die endgültige immisionsschutzrechtliche Genehmigung erteilte. Im Ergebnis ist Datteln 4 also eine Vier-Parteien-Entscheidung, auch wenn die Grünen – wie schon bei der Rodung des Hambacher Forstes – nichts mehr davon wissen wollen.

Die in den sechziger Jahren errichteten Kraftwerksblöcke Datteln 1 bis 3, die gemeinsam mit anderen Kleinkraftwerkseinheiten durch Datteln 4 ersetzt werden, sollten bereits 2012 vom Netz gehen. Doch sie wurden modernisiert und mit Sondergenehmigung bis Februar 2014 weiterbetrieben. Zuvor hatten die anliegenden Kommunen vor fehlender Fernwärme und die Deutsche Bahn vor Zugausfällen im Winter gewarnt, da mit dem Strom aus Datteln das alte, im Februar 2014 ersetzte Umspannwerk für Bahnstrom versorgt wurde.

Auch das neue DB-Umspannwerk transformiert den Netzstrom mit 50 Hertz auf DB-taugliche Frequenz von 16,7 Hertz und 15 Kilovolt (kV) Spannung. Dieser weltgrößte Bahnstromumrichter mit 400 MW Einspeiseleistung kann bis einem Viertel der Spitzenleistung für das Bahnstromnetz umwandeln. Ohne das Umspannwerk Datteln könnte die DB den Zugverkehr kaum aufrechterhalten – auch wenn in der Bahn-Werbung von „Grünstrom“ die Rede ist. Datteln 4 kann eine hohe Bandbreite an Leistungen und Spannungen liefern. Diese Fähigkeit wird eingesetzt, um die Schwankungen der Ökostromproduktion auszugleichen. Die räumliche Nähe zwischen Kraftwerksblock und Umspannwerk hat zur Folge, daß die Bahn hier physikalisch Strom aus Datteln 4 in ihr Netz speist. Kritik am DB-Slogan „100 Prozent Ökostrom im Fernverkehr“ ist allerdings nur technisch möglich. Die Bahn wickelt ihren Energieeinkauf mit ausreichend Ökostromzertifikaten ab, damit „unsere Kunden mit uns klimaneutral reisen oder ihre Waren transportieren lassen“ können. Was bei Dunkelflauten praktisch passiert, muß die Finanz- und Marketingmanager nicht interessieren. 

Die im Rahmen des Klimaschutzpakets vorgesehene Ausweitung des Bahnverkehrs wird den DB-Energieverbrauch weiter steigern. Dieser Anstieg wird über den weiteren Produktionszuwächsen der kriselnden Windenergie liegen, die sowieso auch bei weiteren Zubauten nur eingeschränkt bahntauglich im Sinne von grundlastfähig ist. Zwar sind am europäischen Strommarkt auch in Zukunft genügend Zertifikate für einen Ökostromnachweis erhältlich, praktisch wird die Bahn jedoch mit der Industrie und den Rechenzentren um Kapazitäten wie Datteln 4 konkurrieren müssen.

Dies bedeutet, daß die Bahn wohl mehr Energie mit CO2-verursachender Produktion beziehen muß als geplant. Diese muß dann durch eigene, im Preis steigende Zertifikate in eine Ökostromversorgung verwandelt werden, nur um anderswo einen CO2-lastigeren Transport zu verdrängen. Auf Umwegen ist also das Lieblingskind des Klimaschutzpakets von der „CO2-Bepreisung“ sowie dem Ausstieg aus der grundlastfähigen Energie betroffen. Preissenkungen bei der Bahn ließen sich dann nur über weitere Steuerzahlerzuschüsse realisieren.

Die Grünen stört das wenig, da das neue Kraftwerk von einem CDU-Politiker eingeweiht werden würde. Und wenn bei Nichtinbetriebnahme eine Milliardenentschädigung für Uniper fällig würde? Was soll’s – es geht ja schließlich um die Rettung des Weltklimas.

 www.uniper.energy/