© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

„Mindestabstände schaden der Energiewende“
Energiepolitik II: Klimapaniker und subventionshungrige Wirtschaftsverbände kämpfen für mehr Windkraftanlagen / Umweltbundesamt relativiert Lärmproblematik
Marc Schmidt

Seit Jahren sorgt sich das Umweltbundesamt (UBA) um Flug-, Industrie- oder Verkehrslärm. Auch die Geräusche von Windrädern sind der Dessauer Behörde bekannt: Anlagen mit einer Gesamthöhe von über 50 Metern „unterliegen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht“. Für Wohngebiete gelte tagsüber ein Schalldruckpegel von 55 dB(A) und nachts von 40 dB(A). Einzelne Geräuschspitzen dürften diese Richtwerte um nicht mehr als 30 dB bzw. 20 dB (nachts) überschreiten.

Das war 2013. Inzwischen heißt es beim UBA: „Mindestabstände bei Windenergieanlagen schaden der Energiewende.“ Denn bereits bei einem pauschalen Abstand von 1.000 Metern würden sich die für Windkraft tauglichen Flächen „um 20 bis 50 Prozent reduzieren“. Doch die Windenergie an Land sei „von großer Bedeutung für das Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 den Anteil der erneuerbaren Energien im Stromsektor auf 65 Prozent zu steigern“.

Die Abstandregel ist Bayern zu verdanken: Die CSU hatte Angst, ihre ländliche Wählerklientel zu vergraulen. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof bestätigte 2016 die „10-H-Regelung“, wonach Anlagen mindestens zehnmal so weit von den nächsten Wohnhäusern entfernt sein müssen, wie das Windrad hoch ist. Auch die aktuelle „Klimastrategie der CSU“ (JF 38/19 ) hält an der 10-H-Regelung fest. Im neuen Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums ist der 1.000-Meter-Abstand bei Siedlungen mit mehr als fünf Wohngebäuden festgeschrieben. Man müsse „die berechtigten Sorgen vieler Menschen ernst nehmen“, verteidigte Peter Altmaier (CDU) die Abstandsregelung im Deutschlandfunk. Wenn hohe Windräder von über 200 Meter Höhe errichtet werden, empfänden das „viele der Anwohner als eine Beeinträchtigung auch ihrer Lebensqualität“. Die 1.000-Meter-Regelung sei von Union und SPD gemeinsam beschlossen worden. Im Gegenzug habe die CDU zugestimmt, die Deckelung des Fotovoltaik-Ausbaus aufzuheben, so der Wirtschaftsminister.

„Die geplante Abstandsregelung ist ein weiterer erheblicher Hemmschuh für den Ausbau der Windkraft an Land“, erklärte hingegen Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands für Erneuerbare Energien (BEE) und bis 2018 Grünen-Chefin. Auch der Industrieverband BDI, die Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), der Bundesverband der Ener-gie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Bundesverband Windenergie (BWE) und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sowie der DGB beklagen sich bei Altmaier: Die geplanten Einschränkungen der Windenergie stellten „die Realisierbarkeit sämtlicher energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung in Frage“. Auch zahlreiche der in den kommenden Jahren altersbedingt abzubauenden Windräder könnten dann nicht ersetzt werden.

Den aktuellen Auftragseinbruch führen sie auf die Änderung der Ausschreibungsregelungen durch Altmaier zurück, der dabei nur einen älteren Koalitionsbeschluß umgesetzt hat. Der veränderte Rahmen für Windenergie hat dazu geführt, daß zahlreiche auf Subventionen abzielende Finanzierungskonzepte nicht mehr realisiert werden. Seit 2017 ist der Zubau neuer Windenergieanlagen von über 5.000 auf 2.300 MW gefallen. „In der ersten Hälfte dieses Jahres ist der Zubau mit 287 MW nahezu zum Erliegen gekommen“, konstatiert das Institut der deutschen Wirtschaft (JF 44/19). Als Folge straucheln Branchenriesen: Senvion wird unter starkem Stellenabbau an den Wettbewerber Siemens Gamesa verkauft. Enercon, früher mit einem Marktanteil von 35 Prozent den Markt für Onshore-Windräder mitbestimmend, muß bundesweit 3.000 Stellen abbauen, allein 1.500 in der strukturschwachen ostfriesischen Region Aurich.

Dies alarmierte die niedersächsische SPD-CDU-Landesregierung: Sie war Haupttreiber des einstimmigen Beschlusses der Umweltministerkonferenz, die 1.000-Meter-Regel abzulehnen. 

„Auswirkungen von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und Siedlungen“:  www.umweltbundesamt.de/