© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/19 / 22. November 2019

Dorn im Auge
Christian Dorn

Die Prophezeiung des Berliner Taxifahrers, die deutschen Taxifahrer stürben aus, wird drei Wochen später zur Gewißheit: Vor der Haustür erwartet mich frühmorgens ein Moslem mit kaftan-ähnlichem Gewand, Hausschuhen, langem Bart und einer Gebetskette, die am Rückspiegel baumelt. Schon seine bedeutungsschwere Ansage, daß der – bereits seit einem Jahr – gesperrte Gleimtunnel nicht zu befahren sei, macht mich mißtrauisch. Schließlich wählt er einen Weg in die entgegengesetzte Richtung, verfährt sich mehrfach und räsoniert über eine Baustelle am Hauptbahnhof, weshalb er mich nicht direkt heranfahren könne. Und in der Tat: Statt mich, wie die anderen Taxis, direkt vor dem Eingang abzusetzen, hält er mitten auf der Straße, direkt vor der Bushaltestelle, hinter uns ein heranfahrendes BVG-Monster, das bereits hupt. Panisch fordert er mich auf, schnell selber mein Gepäck aus dem Kofferraum zu wuchten. Ohne eine Quittung auszustellen, rast er mit quietschenden Reifen davon – offenbar zur Fadschr, dem ersten Gebet in der Morgendämmerung.


Dieses reicht augenscheinlich bis zum Häuserviertel vor dem Münchner Hauptbahnhof, wo ich ausgerechnet am Abend des 9. November im Hotel Europäischer Hof nächtigen muß. Als ich das TV-Gerät anschalte, flimmern dort islamische Propaganda-Bilder des saudi-arabischen Staatsfernsehens über die Scheibe, gefolgt von russischen und chinesischen Sendern. Draußen kein anderes Bild: Als beträte ich gefährliches Ausland, begegnen mir beim Gang um den Häuserblock ausschließlich fremdartige, bedrohlich wirkende junge Männer vornehmlich türkischer, arabischer und nordafrikanischer Provenienz. Nachts in der U-Bahn, angesprochen auf dieses Phänomen, erwidert mir eine junge Sozialwissenschaftlerin verständnisvoll: Ja, sie ginge dort auch nur hin, wenn sie „Fernweh“ habe. Entsprechend aus der Zeit gefallen wirkt am nächsten Morgen die Ausgabe des Münchner Merkur mit dem großen Schwarzweiß-Foto von den zahllosen DDR-Bürgern, die nach dem Mauerfall den Münchner Bahnhofsvorplatz bevölkern. Zurück in Berlin, nachts um „5 nach 12“, erhascht mein Blick am Ausgang des U-Bahnhofs eine Anzeigentafel, die für den „Organausweis“ wirbt – im Gedanken an das Versagen der staatlichen Organe in der Asylpolitik bricht in mir kurz ein irres Gelächter aus. Danach passiere ich, gewissermaßen der neue Checkpoint meiner Straße, den „Späti“ in der Hand der Organisierten Kriminalität (OK). Automatisch spreche ich vor mich hin: „Ich bin o.k. Du bist o.k.“