© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Ausstrahlung, die tröstete
Gerhard Löwenthal war ein Kämpfer für Menschenrechte
Vera Lengsfeld

Es ist mir eine große Freude und noch größere Ehre, heute den Gerhad-Löwenthal-Preis für Publizistik entgegennehmen zu dürfen. Erstens freut es mich, daß im 30. Jahr des Mauerfalls zwei Ostdeutsche von einem dezidiert westdeutschen Projekt als Preisträger ausgewählt wurden. Das zeigt, daß wenigstens bei den Liberal-Konservativen die Vereinigung geklappt hat. Zweitens ist dieser Preis die Krönung meines dritten Lebens als Publizistin, das ich erst mit Mitte Fünfzig gestartet habe. Als politische Bloggerin bin ich eher eine Seltenheit, aber ich kann trotzdem sicher sein, daß ich nicht aus Quotengründen diesen Preis bekommen habe, was mich besonders freut. Drittens ist mir diese Auszeichnung eine besondere Ehre. Das hängt mit dem von mir sehr verehrten Namensgeber zusammen. Ich will nicht wiederholen, was Alexander Wendt und Angelika Barbe hier schon zu Gerhard Löwenthal gesagt haben, sondern einen Aspekt ergänzen, der weitgehend unbekannt geblieben ist. 

DDR-Zwangsadoption zum Thema gemacht 

Löwenthal war nicht nur ein hervorragender Journalist, er war auch ein leidenschaftlicher Menschenrechtsaktivist und hat sich um ein Problem gekümmert, das im damaligen politischen Bonn als so heißes Eisen galt, daß es niemand anpacken wollte: Zwangsadoptionen von Kindern politischer Gefangener der DDR durch SED-treue Familien. Gerhard Löwenthal hat sich dieser Frauen angenommen und ihnen in vorbildlichster Weise geholfen. Er hat versucht, alle seine politischen und journalistischen Kontakte einzusetzen, um diesen Frauen zu helfen. 

Als Bundestagsabgeordnete habe ich mich mit diesen Problemen der Zwangsadoptionen beschäftigt und versucht, es auf die Tagesordnung zu setzen. Das waren Entscheidungen, für die damals Margot Honecker, die Bildungsministerin der DDR und Frau des Generalsekretärs, maßgeblich verantwortlich war. Sie war diejenige, die immer wieder angewiesen hat, unerbittlich gegen Frauen vorzugehen, die politisch unliebsam waren und deshalb im Frauengefängnis Hoheneck landeten. 

Aber auch in diesem Falle ist es der SED gelungen, die Spuren zu verwischen. Die Akten in all diesen Vorgängen sind weitestgehend verschwunden, und es bedarf einer sehr sorgfältigen und langwierigen Recherche, um überhaupt solchen Fällen nachspüren zu können. 

Gerhard Löwenthal ist in etlichen Fällen gelungen, diese Kinder wiederzufinden, und in einigen Fällen ist es auch gelungen, Begegnungen zwischen den Müttern und den inzwischen erwachsenen Kindern zu vermitteln. Nicht alle diese Begegnungen sind glücklich ausgegangen, weil die Entfremdung, die sich in den vielen Jahrzehnten entwickelt hat, so groß war. Zum Teil haben die Kinder gar nicht gewußt, daß sie adoptiert waren und ihre wahre Mutter im Westen lebte. Aber in einigen Fällen ist es ihm gelungen, diese Biographien zu heilen und eine Mutter-Kind-Beziehung wieder herzustellen. Alleine dafür gebührte Gerhard Löwenthal ein Denkmal mitten in Berlin.

Ich habe bei diesem Engagement zur Aufdeckung der Zwangsadoptionen der DDR Gerhard Löwen-

thal persönlich kennenlernen dürfen. Wir haben uns zum ersten Mal in den Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bonn getroffen, wo wir heute beide nicht mehr zugelassen wären, wenn er noch lebte. Und ich habe festgestellt, daß er nicht nur ein guter Journalist und Herzblut-Menschenrechtsaktivist war, sondern ein Herr, hochkultiviert, mit angenehmen Umgangsformen und einer sehr warmen Ausstrahlung. 

Es war diese Ausstrahlung, die selbst Frauen, denen er nicht helfen konnte, Trost spendete. Ich habe jede persönliche Begegnung mit ihm genossen. 

Ich bedaure, daß das nur noch sehr wenige sein konnten, weil er nicht mehr lange gelebt hat – aber ich bin dankbar für jede Minute, die ich mit ihm verbringen durfte. Gerade deshalb ist es für mich eine besondere Ehre, einen Preis mit seinem Namen erhalten zu haben.