© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Eintracht in Braunschweig?
Vor dem Parteitag: Eigentlich plant Patriarch Alexander Gauland seinen Rückzug von der AfD-Spitze. Eigentlich …
Christian Vollradt

Wahrscheinlich ist es leichter, die Lottozahlen vorherzusagen als die Ergebnisse eines AfD-Parteitags. Wenn die knapp 600 Delegierten am Wochenende in Braunschweig zusammenkommen, um einen neuen Bundesvorstand zu wählen, dann sind Überraschungen nicht ausgeschlossen. In der immer noch vergleichsweise jungen Partei drängen Unbekannte auf Spitzenämter, können auch Favoriten mal nicht reüssieren. „Daß vorgestanzte Listen einfach nur abgenickt werden, wie das bei anderen Parteien gang und gäbe sein mag, werden Sie bei uns nicht erleben“, betonte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, am Montag vor Journalisten in Berlin. Einer also, so könnte man sagen, aus dem Funktionsestablishment der AfD, doch sichtlich stolz auf die Basisdemokratie einer politischen Formation, die sich in so vielem als Alternative zu den etablierten Parteien versteht.

Um so spannender also, wer künftig die Parteispitze bilden wird. Wer hat noch nicht, wer will nochmal? Fliegen die Fetzen oder herrscht Friede und Harmonie zwischen den verschiedenen innerparteilichen Strömungen? Welche Auswirkungen haben die jüngsten Wahl-erfolge in Brandenburg, Sachsen und Thüringen? Und inwiefern bricht sich auch in der tendentiell eher unruhigen AfD der Wunsch nach einer gewissen Kontinuität Bahn?

Im Grunde genommen, so meint ein Bundestagsabgeordneter, hänge alles davon ab, ob Alexander Gauland noch einmal antritt oder nicht. Daß der Par-teisenior eigentlich keine weitere Amtszeit mehr als Co-Vorsitzender anstrebt und sich lieber zum Ehrenvorsitzenden küren lassen würde, daraus machte er keinen Hehl. Aber, das betonte er immer wieder auf die Frage nach seinen  Ambitionen: wenn Not am Mann ist, stünde er bereit. Entscheiden werde er sich vor Ort in Braunschweig. Ein solcher Notfall wäre der Moment, in dem ein von Gauland unterstützter Kandidat an der Spitze durchfiele. Auf keinen Fall soll es einen zweiten „Fall Sayn-Wittgenstein“ geben, so wie vor zwei Jahren in Hannover, als die bis dato weitgehend unbekannte Abgeordnete aus Schleswig-Holstein beinahe Parteivorsitzende geworden wäre. Eine Frau, die der Bundesvorstand nun im zweiten Anlauf lieber heute als morgen aus der Partei werfen würde.

Kein Geheimnis ist, daß Gauland den sächsischen Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla gerne als Sozius eines wiedergewählten Jörg Meuthen sähe. Der erfüllt quasi die Erwartungen an eine eierlegende Wollmilchsau der Partei. Denn was man sich im Umfeld des Patriarchen aus Brandenburg für diese Position wünscht, ist ein Kandidat aus dem Osten, der zum einen die aus den dortigen Wahlerfolgen abgeleiteten Ansprüche auf angemessene Repräsentanz verkörpert, die „Sprache“ der AfD in den östlichen Bundesländern spricht, das „Einer von uns“ verkörpert. Jemand, der zum anderen von seiner Persönlichkeit und seinem Auftreten her aber auch den – zahlenmäßig dominierenden – westdeutschen Verbänden gut vermittelbar ist. Als selbständiger Handwerksmeister und Mittelständler trifft dies auf den Sachsen zu. Zumal Gauland stets hervorhebt, wie sehr er Chrupallas Arbeit in der Fraktion schätzt, wo der direkt gewählte Abgeordnete aus Görlitz, als Vizevorsitzender für Finanzen zuständig, manche Scharte ausgewetzt hat. Ein Duo Meuthen/Chrupalla wäre ganz im Sinne derer, die sowohl den West/Ost-Proporz als auch die Kontinuität gewahrt wissen wollen.

Doch das bedeutet nicht, daß die beiden damit „gesetzt“ sind. Daß es Gegenkandidaten geben wird, gehört zu den – wenigen – Gewißheiten in Braunschweig. Manch einer betrachtet das mit gemischten Gefühlen, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits sei es ja ganz schön, meint ein anderer AfD-Parlamentarier, daß es so viele in der Partei gebe, die sich für eine Führungsposition geeignet hielten. Andererseits sei Kontinuität und Berechenbarkeit wichtig, denn in den kommenden zwei Jahren könnten wichtige Weichenstellungen die AfD betreffen. „Meuthen muß es wieder werden“, bekräftigt ein führendes AfD-Mitglied. „Ich halte seine Wiederwahl für wahrscheinlich“, meint ein anderer Bundespolitiker. Viel hänge von der Qualität seiner Rede ab: „Wenn das wieder so wie damals in Stuttgart oder in Köln wird, hat er die Leute sicher auf seiner Seite“, ist der AfD-Mann überzeugt. 

Für Chrupalla indes, so befürchten manche, die seine Wahl gerne sähen, könnte sich gerade das Protegieren durch Gauland als ein Nachteil erweisen. Denn, so ist zu vernehmen, der – gefühlte – Kronprinzenstatus stößt bei manchen auf Ablehnung. Man will sich nichts von oben vorschreiben lassen, dieser Widerwillen ist symptomatisch für die AfD.

Sorge vor gewaltbereiten    Gegendemonstranten

Und der Wunsch-Nachfolgekandidat des Noch-Co-Vorsitzenden hat gerade Konkurrenz bekommen. Kurz vor dem Parteitag warf der Berliner Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio seinen Hut in den Ring. Er möchte als Co-Vorsitzender kandidieren – möglicherweise gegen Chrupalla. Curios Name soll auf einer sogenannten Konsensliste, die in Parteikreisen kursiert, stehen. Im Bundestag hatte sich Curio jüngst zweimal vergeblich für ein Amt in der Fraktionsführung bemüht. Doch obwohl er mit seinen Debattenbeiträgen im Bundestagsplenum bei AfD-Anhängern gut ankommt und die Videos seiner Beiträge in sozialen Netzwerken häufig geteilt werden, versagte ihm eine Mehrheit der Fraktionskollegen die Unterstützung. Das mag daran liegen, daß er eher als Einzelgänger gilt. Aber Curios rhetorische Stärken, sein „Sound“ könnten für die eher basisorientierten Delegierten – anders als bei den Politprofis im Reichstag – ausschlaggebend sein. 

Weniger Chancen räumen Insider Niedersachsens Landesvorsitzender Dana Guth als Gegenkandidatin zum Sachsen Chrupalla ein – sollte sie sich tatsächlich für diesen Posten bewerben. 

Als Außenseiterin (was immer das in der AfD bedeutet) will sich auch die rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst für die Parteispitze bewerben – mutmaßlich gegen Meuthen. Sie kandidiere, um als Frau deutlich zu machen, daß die AfD keine Alte-Männer-Partei sei, sagte Höchst in einem Video. Beobachter sind überzeugt, daß sie vor allem durch eine Gruppe von Meuthen-Gegnern unterstützt wird.

Die bisherige Beisitzerin im Bundesvorstand und Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alice Weidel, tritt für einen der Vize-Sprecher-Posten an, genauso wie Roland Hartwig, Leiter der Arbeitsgruppe Verfassungsschutz und Bundestagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen. Sie beide stehen auch auf der informellen Konsensliste. „Als mitgliederstärkster Landesverband beanspruchen wir einen Stellvertretenden Bundesvorsitzenden“, sagte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen der JUNGEN FREIHEIT. Damit verbunden sei jedoch kein Votum für einen bestimmten Kandidaten, bewirbt sich der derzeitige Parteivize Kay Gottschalk doch ebenfalls wieder. 

Wie in der Vergangenheit auch, treibt viele, vor allem Journalisten, die Frage um, ob Thüringens Landes- und Fraktionsvorsitzender Björn Höcke sich um einen Posten im Bundesvorstand bewerben wird oder nicht. Er selbst hatte Fragen zu entsprechenden Ambitionen stets ausweichend beantwortet. Die meisten führenden Funktionäre, so der Eindruck nach zahlreichen Gesprächen, rechnen nicht mit einer Kandidatur Höckes. Nur – ausgerechnet – die Antifa („Die zu erwartende Wahl von Björn Höcke in den Parteivorstand …“) ist vom Gegenteil überzeugt. 

Ein AfD-Abgeordneter hält einen Überraschungscoup, bei dem jemand vollkommen Unbekanntes an die Spitze kommt, mittlerweile für eher unwahrscheinlich. Auch die Delegierten seien mittlerweile erfahrener, ist der Politiker überzeugt. Daß es einen „Ansturm auf die Posten“ und damit mehrere Wahlgänge geben werde, das sei jedoch höchst wahrscheinlich. Relativ sicher sind sich führende Funktionäre, daß es den Delegierten vor allem um die Vorstandswahl geht. Daher würden wahrscheinlich die Sach- oder Satzungsänderungsanträge relativ schnell abgearbeitet oder gar vertagt werden. Von denen bergen einige Sprengstoff. Da wird etwa von einigen aus Baden-Württemberg gefordert, die Unvereinbarkeitsliste der Partei komplett aufzuheben. Oder daß Vorstandsmitglieder, die ein am Ende erfolgloses Ausschlußverfahren gegen ein Mitglied beantragt haben, von ihrem Amt zurücktreten müssen.

Wie mittlerweile üblich, haben die Gegner der AfD auch in Braunschweig wieder mobilisiert. Mehrere Gegendemonstrationen sind angkündigt, an der städtischen Volkswagen-Halle, in der die Delegierten tagen, muß auf Druck des VW-Betriebsrates das Namensschild verdeckt werden. Die Polizei rechnet mit anreisenden Linksextremisten und hält Wasserwerfer bereit. Niedersachsens AfD-Vorsitzende Guth, sozusagen die „Gastgeberin“ des Parteitags, zeigte sich besorgt. Die Stimmung sei so aufgeheizt, „da wäre es angebracht, verbal abzurüsten“, forderte sie die anderen Parteien auf. Es sieht allerdings eher so aus, daß ihre Bitte nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist.