© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Bauern ohne Bonzen
Protestbewegung „Land schafft Verbindung“: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen gehen Zehntausende Landwirte gegen die Bundesregierung auf die Straße
Christian Vollradt

Traktoren so weit das Auge reicht, aufgereiht wie an einer Perlenschnur, mitten in der Hauptstadt, geparkt entlang der Straße des 17. Juni. Berlin erlebte am Dienstag einen besonderen Protestzug. In kilometerlangen Konvois waren Bauern aus ganz Deutschland zusammengekommen, nach Veranstalterangaben rund 40.000 Teilnehmer und über 8.000 Schlepper. Es war die Fortsetzung der jüngsten Demonstrationen gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung (JF 45/19).  

Ihre Kritik an verschärften Richtlinen beim Düngereinsatz oder Pflanzenschutz wollen die Landwirte nicht als Opposition gegen Insektenschutz beispielsweise, das Tierwohl oder bessere Grundwasserqualität verstanden wissen. Dies seien „alles Dinge, die auch Landwirten am Herzen liegen“, weil sie „auf eine intakte Natur angewiesen“ sind. Die Auswirkungen der im Agrarpaket zusammengeschnürten Beschlüsse seien jedoch keiner Folgeabschätzung unterzogen worden, „ihre direkte Auswirkung auf die regionale Landwirtschaft in keiner Weise beleuchtet und das Fachwissen und die vielfältigen Erfahrungen der Landwirte vor Ort“ nicht berücksichtigt worden. 

Die Bauern bräuchten nicht permanent neue Bestimmungen, sondern wegen notwendiger Investitionen Planungssicherheit und eine Politik, die ihre Entscheidungen nicht „auf der Suche nach möglichst großem Applaus der breiten Öffentlichkeit“ treffe, sondern auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, heißt es in einem Aufruf der Demonstrationsanmelder. Besonders sauer stößt vielen, die seit mehreren Generationen ihre Höfe betreiben, auf, daß sie einseitig für ökologische Mißstände verantwortlich gemacht werden. Bauernfamilien beklagen, daß ihre Kinder in der Schule gemobbt werden. Und die Sorge, ob der stets weitervererbte Betrieb eine Zukunft hat, treibt alle um. Symbolisch stehen zahlreiche Trettraktoren und Kindergummistiefel vor dem Brandenburger Tor. Ein kleiner Junge trägt ein Schild: „Mama, lohnt es sich, einen Treckerführerschein zu machen?“

Sowohl bei den Organisatoren der erst im Oktober ins Leben gerufenen Gruppe „Land schafft Verbindung“ auf der Bühne als auch unter den Teilnehmern begreift man die aktuellen Proteste auch als Signal an die eigenen Interessenverbände. „Nehmt euch an uns ein Beispiel“, ruft einer der Redner dem Deutschen Bauernverband sowie dessen Konkurrenten in der Branche zu. „Hört auf, gegeneinander zu arbeiten! Und laßt euch nicht von Politikern gegeneinander ausspielen, nur gemeinsam können wir etwas erreichen!“ 

Sogar hauptamtliche Mitarbeiter des Bauernverbandes geben zu, daß diese Basisbewegung mehr Aufmerksamkeit für die Sorgen des Berufsstands erzielt hat als die in Berlin gut vernetzte Lobby. „Hier steht das Volk, keine Funktionäre“, meint einer von ihnen am Rande der Demonstration vor dem Brandenburger Tor. Allein über Kontakte durch Soziale Netzwerke und WhatsApp-Gruppen hätten hauptsächlich jüngere Landwirte ein Netzwerk geknüpft und Zehntausende auf die Straße gebracht, zeigte sich der Agrarwissenschaftler beeindruckt. „Die Leute sind echt wütend, das läßt sich nicht mehr einfangen. Denen macht keiner mehr etwas vor.“ 

Das bekamen auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bei ihren um Beschwichtigung bemühten Auftritten vor den Demonstranten zu spüren. Deren Zorn auf die Politik entlud sich nicht nur in Buhrufen oder Pfiffen, sondern für eine Weile auch mit – verabredetem – Schweigen. Mucksmäuschenstill war es da auf einmal inmitten der Menschenmenge. Ein Zeichen, das seine Wirkung nicht verfehlte. 

Eine kleine Gruppe Bauern aus Niedersachsen, die sich über die ihrer Meinung nach zu einseitige und allein an der Ideologie von Umweltverbänden sowie NGOs orientierte Berichterstattung der linken Tageszeitung taz geärgert haben, stattete vor Beginn der Demo der Redaktion einen kurzen Besuch ab. Mit einem Traktor sowie Transparenten zogen sie vor den Sitz der Zeitung in der Friedrichstraße, luden Redakteure zum Kaffee und Gespräch ein und überreichten eine goldene Schubkarre – befüllt mit echtem Pferdemist.