© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Ende der Reformer
Iran: Nach Niederschlagung des Protestes zeigt sich die Führung geschlossen
Marc Zoellner

Plötzlich stand die Verbindung wieder: Geschlagene acht Tage lang hatten sich die Einwohner beinahe des kompletten Iran schon ohne Zugang zum weltweiten Internet befunden, als die großen Provider des Landes vergangenen Samstag gegen sechzehn Uhr lokaler Ortszeit ihre Tätigkeit wiederaufnahmen. Immerhin konnte der Stecker nicht zur Gänze gezogen werden. Hochrangige Regierungsvertreter wie der Revolutionsführer Ali Khamenei mochten sich auf Twitter nicht vom Netz trennen, staatliche Nachrichtenagenturen wie Irna durften weiterhin ihre Sicht auf die Unruhen im Land verbreiten.

Doch das Ziel des Regimes war am vergangenen Samstag erreicht: Die Proteste zerstoben so rasch, wie sie Mitte November begonnen hatten. Das Internet – besser gesagt seine Abwesenheit – hatte sich für das iranische Regime nach langen Phasen des Lernprozesses als höchst wirksames Instrument zum Machterhalt erwiesen. „Nach der Präsidentschaftswahl von 2009 begriff die Regierung, daß das Internet der Schlüssel in der Kommunikation zwischen den Menschen nicht nur innerhalb des Landes, sondern auch ins Ausland ist“, erklärt Amir Rashidi, der am New Yorker Zentrum für Menschenrechte im Iran (CHRI) über die digitalen Freiheiten der schiitischen Theokratie forscht, im Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN.

Die Sperrung des kompletten Internets von vergangener Woche barg  für das iranische Regime einen weit größeren Vorteil: Es konnte seine Leichenberge zumindest vor den Augen der iranischen Öffentlichkeit nahezu verschwinden lassen. Wegen einer sprunghaften Erhöhung der Benzinpreise waren Mitte November Hunderttausende iranische Bürger in vielen Städten des Landes auf die Straße gegangen. Rasch schlug der Protest jedoch um und wandte sich gegen die Staatsmacht selbst. 

Opposition blickt skeptisch auf die Wahl 2020

Heimlich außer Landes gebrachte Videos zeugen von Menschenmassen, die „Tod dem Diktator!“ skandieren und eine Rückkehr Reza Pahlavis, des Sohns des letzten Schahs von Persien, in den Iran fordern. Mit rascher Brutalität reagierten die Sicherheitskräfte insbesondere in den Gebieten der kurdischen und lurischen Minderheit auf die Unruhen. Vom Tod eines einzigen Zivilisten und von vier Polizisten berichten staatliche iranische Medien. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International widerspricht diesen Darstellungen und zählt mindestens 106 durch Sicherheitskräfte erschossene Demonstranten. 

Aufnahmen belegen, daß selbst in Zivil gekleidete Milizionäre der Revolutionsgarden mit Knüppeln und Handfeuerwaffen regelrechte Treibjagden auf mutmaßliche Protestler veranstalteten und wahllos Autos anzündeten, um die Bürger vor weiterem Prtotest abzuschrecken.

Eine landesweite Verhaftungswelle folgte vergangenes Wochenende. Das CHRI schätzt deren Zahl auf über 2.700; der iranische Journalist und Buchautor Babak Taghvaee berichtete am Sonntag von allein über 3.000, die derzeit im berüchtigten Gefängnis von Fashafuyeh unweit der iranischen Hauptstadt Teheran einsäßen. Die staatliche iranische Nachrichtenagentur Fars News Agency (FNA) bestätigte die Verhaftung von 180 „Söldnern des Auslands“.  „Wir haben sämtliche Söldner gefangengenommen und diese haben bereits zugegeben, im bezahlten Dienst Amerikas zu stehen“, erklärte Ali Fadavi, Konteradmiral der Revolutionsgarden.

Als Antwort verfügten die USA vergangenen Freitag verschärfte Sanktionen gegen den iranischen Kommunikationsminister Mohammad Jahromi sowie Ali Khamenei. Teheran indessen rief am Montag über einhunderttausend Anhänger zu einer Großkundgebung nach Teheran. „Die Demonstranten forderten ‘Tod den USA’, ‘Tod Israel’, ‘Tod Großbritannien’“, berichtete die FNA. 

Unterstützt wurde die Kundgebung von Reformern um Präsident Hassan Rohani sowie Hardlinern um Ali Khamenei gleichermaßen. „Das System war nie frei und fair, aber es gab immer noch einen kleinen Unterschied zwischen den Kandidaten“, warnt Reza Akbari, Analyst des Institute for War and Peace Reporting (IWPR), vor der im Februar 2020 anstehenden Parlamentswahl im Iran. „Jetzt sehen die Leute keinen Anreiz mehr, zu den Wahlen zu gehen. Rohanis Rechtsruck wird die Kosten für reformistische Kandidaten drastisch erhöhen.“