© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Die Fallstricke der grenzenlosen Kreditaufnahme
Modern Monetary Theory: Eine „zeitgemäße“ Geldtheorie soll den Notenbanken die direkte Staatsfinanzierung ermöglichen
Dirk Meyer

Ein schlechtes Gewissen belastet. Eine Notenbank, die dem Staat Kredit gewährt, bedient die Notenpresse. Die grundsätzlich folgerichtige Konsequenz, daß dieses Handeln den Kreditzins ins Negative drückt, zur Geldentwertung führt und die Gefahr erheblicher Instabilitäten für die Finanz- und Gütermärkte heraufbeschwört, beunruhigt auch manche Notenbanker. Die Modern Monetary Theory (MMT) bietet Entlastung. Sie will diese ehernen, historisch belegten Gesetzmäßigkeiten widerlegen. Eine ihrer Grundaussagen lautet: Eine Staatsverschuldung – grenzenlos – sei zum Nulltarif möglich.

Keynes kannte die Grenzen einer Schuldenpolitik

Wie soll das funktionieren? Die politische Unterstützung ist zumindest vorhanden, vornehmlich aus dem Umfeld linker US-Demokraten. So berufen sich die populäre, 30jährige Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez – seit Januar 2019 für den 14. Kongreßwahlbezirk von New York im Repräsentantenhaus – oder die Beraterin von Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders, Stephanie Kelton (Stony Brook University/New York), bei ihren Finanzierungsideen für den „Green New Deal“ (JF 10/19) auf die MMT.

Diese fußt auf zwei Gedankengebäuden des beginnenden 20. Jahrhunderts, als viele Währungen mit Gold (teil-)gedeckt waren, so auch die Mark des Deutschen Kaiserreichs ab 1871. Die Währung hatte einen inneren Wert, weshalb diese Form auch als Metallismus bezeichnet wird. Die deutsche „Einlösepflicht der Banknoten in Metallgeld“ endete mit den Kriegskrediten 1914.

Hier setzt der sogenannte Chartalismus an, den Georg Friedrich Knapp in seiner „Staatlichen Theorie des Geldes“ (1905) propagiert. Demgemäß ist für eine Papierwährung lediglich eine soziale Akzeptanz erforderlich. Die für heutige Währungen geläufige Bezeichnung „Fiatgeld“ (lat.: es finde statt) deutet bereits eine erhöhte Unsicherheit an, denn bei fehlender Akzeptanz verliert die Währung ihren Wert – siehe die Hyperinflation 1923. Die zweite gedankliche Anleihe nimmt die MMT aus der keynesianischen Wirtschaftstheorie. Arbeitslosigkeit resultiert hiernach aus fehlender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Dem Staat obliegt es, diese Nachfragelücke durch kreditfinanzierte Aufträge zu schließen. Idealerweise werden die Kredite in der Boomphase zurückgezahlt. Denn Keynes wußte als erfolgreicher Kapitalanleger um die Grenzen einer seitens der Notenbank unterstützten Schuldenpolitik des Staates und eines sinkenden Geldwertes.

Die MMT bestreitet diese Grenzen. Indem die Regierung ihrer Notenbank jederzeit Staatsanleihen zur Gutschrift auf das Regierungskonto einreichen kann, druckt sie sich das Geld selbst. Mithin kann der Staat nicht Bankrott gehen. Als Souverän mit Macht über seine Zentralbank ist er Monopolist seiner Währung, muß seine Ausgaben nicht am Kapitalmarkt finanzieren, sondern ist der Schöpfer seines eigenen Kredits. Folglich kann die Regierung als „Employer of Last Resort“ – so Vertreter der MMT – nicht nur für Vollbeschäftigung sorgen, sondern auch die Umverteilung beliebig steuern.

Die Logik eines grenzenlosen Staatskredits, dazu noch ohne Wohlfahrtsverluste, hat mehrere Fallstricke. So darf die Nachfragelücke keine strukturellen Ursachen haben wie etwa eine geringe Produktivität der Wirtschaft, denn diese würde durch staatliche Aufträge eher noch verschärft. Da die Finanzierung direkt über die Notenbank erfolgt, fehlt dem Staatskredit die Kontrolle des Kapitalmarktes. Ressourcenverschwendungen und Projekte ohne gesellschaftlichen Nutzen werden wahrscheinlicher. Würde eine moderate Geldentwertung noch akzeptiert, so werden die Bürger spätestens bei einer Hyperinflation eine „Abstimmung mit den Füßen“ vornehmen. Im erneut überschuldeten Argentinien (Inflation 55 Prozent, JF 47/19) oder im hyperinflationären Venezuela ersetzt der US-Dollar in kleinen Scheinen das Staatsgeld. Ecuador hat den Dollar und Montenegro einseitig den Euro zur Landeswährung erklärt. Gold oder die Roggenmark (Deutschland 1923) sind Beispiele für die Rückkehr des Warengeldes in unsicheren Zeiten. De facto hat hier der Staat sein Währungsmonopol verloren. Ein weiteres Problem entsteht durch die einhergehende Abwertung der heimischen Währung, die ausländische Waren verteuert. Auch mangels Devisen stockt der Import und Wertschöpfungsketten zerbrechen. Die Produktion im Inland nimmt Schaden.

Allerdings gibt es eine Ausnahme – ein großes Land mit einer Weltleitwährung. Der US-Dollar ist eine sogenannte Ankerwährung, die bei vielen grenzüberschreitenden Geschäften als Vertragswährung vereinbart wird. So wird etwa die Hälfte aller Warenimporte in die EU in Dollar abgerechnet; bei den Einfuhren in die USA sind es 90 Prozent. 63 Prozent der weltweiten Devisenreserven sind Dollaranlagen, nur 20 Prozent lauten auf Euro. Ähnlich sieht es bei Fremdwährungsanleihen aus, 62 Prozent werden in Dollar, nur 23 Prozent in Euro abgeschlossen.

EU-Finanzministerium und Regierungszugang zur EZB?

Diese Zahlen spiegeln die hohe Nachfrage nach sicheren Dollar-Anlagen wider, vornehmlich US-Staatsanleihen. Die USA gelten als sicherer Anlagehafen mit erstklassiger Bonität, in den weltweit Gelder von Banken und Versicherungen fließen. Indem diese für ihre Anlagen Sicherheit und Planbarkeit suchen, kann das amerikanische Schatzamt seine Staatsverschuldung international breit unterbringen: 6,8 Billionen Dollar der Treasury Securities sind in ausländischer Hand. Hauptgläubiger sind Japan und China (je 1,1 Billionen) sowie Großbritannien (346 Milliarden), Brasilien (301) und Irland (274). Die US-Regierung benötigt die Notenpresse in geringerem Ausmaß, da das Ausland als Kreditgeber einspringt – solange auch hier international Akzeptanz besteht.

Den Staaten der Europäischen Währungsunion dürfte die MMT in zweifacher Hinsicht keine Anleitung sein. Für die Europäische Zentralbank (EZB)gilt die Unabhängigkeit, wenngleich sie diese seit 2015 mit ihren Staatsanleihekaufprogrammen zunehmend selbst in Frage stellt. Der zentrale Punkt besteht jedoch in den 19 Staaten der Währungsunion, für die der Euro faktisch eine Fremdwährung darstellt, denn geldpolitische Entscheidungen werden kollektiv im EZB-Rat getroffen. MMT setzt eine neue EU-Ordnung voraus: ein europäisches Finanzministerium und den Regierungszugang zur Notenbank – undenkbar?






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

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