© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Dem Land einen Dienst leisten
Archetypisch: Die Netflix-Serie „The Crown“ spiegelt Glanz und Elend der englischen Monarchie
Karlheinz Weißmann

In der aktuellen dritten Staffel der Neflix-Serie „The Crown“ geht es um die späten 1960er und die 1970er Jahre. Man hat die Hauptdarsteller gewechselt – die Königin wird jetzt von Olivia Colman an Stelle von Claire Foy, Prinz Philip von Tobias Menzies an Stelle von Matt Smith verkörpert – und die erste Folge trug passenderweise den Titel „Olding“. Sie begann mit der heiklen Szene, in der der Herrscherin veränderte Darstellungen ihres Konterfeis für Briefmarken, Banknoten und Münzen vorgestellt wurden, mit denen man den Übergang von der jugendlichen zur reiferen Frau optisch bewältigen wollte.

Der Zuschauer wird damit gleichzeitig eingestimmt auf ein Thema, das auch die übrigen Teile dominiert: Wie soll sich eine Monarchie in einer Ära darstellen, die nicht nur eine öffentliche und eine veröffentlichte Meinung im klassischen Sinne kennt, sondern auch zunehmend bestimmt wird vom Einfluß der modernen Medien, insbesondere Rundfunk, Film und Fernsehen.

Angesichts des Niedergangs, den das Empire in der Nachkriegszeit erlebte, der Skandale, die das Establishment erschütterten, der Wirtschaftskrise, die Großbritannien erfaßte, und des linken Zeitgeistes war die Monarchie selbst gefährdet. Welche Reaktionsmöglichkeiten angesichts dieser Gefahr denkbar schienen, wird an vier Verhaltensmustern gezeigt: dem Versuch der Königin, die tradierte Zurückhaltung zu bewahren (am Beispiel ihrer anfänglichen Weigerung, den Unglücksort Aberfan zu besuchen), dem Ansatz ihrer Schwester Margaret, dem Trend zu folgen und sich als Teil des Jet Sets zu präsentieren (am Beispiel ihres Amerikabesuchs, bei dem sie Präsident Lyndon B. Johnson ein Hilfsprogramm für das Königreich abflirtete), dem Beharren des Thronfolgers auf Authentizität (am Beispiel seines Werbens um die Waliser durch Anerkennung ihrer Identität) und der Flucht nach vorn, die der Prinzgemahl antrat (am Beispiel einer von ihm vorgeschlagenen BBC-Dokumentation über das – angebliche – Alltagsleben der Royals). Letztlich scheitert jedes dieser Konzepte. Die Königin wirkt gefühllos, Margaret flatterhaft, Charles naiv und der Public-Relations-Ansatz Philips verfehlt. 

Distanz zum Volk als Schutz für die Dynastie

Schließlich kommt es zu einem Gespräch zwischen Elisabeth und dem Labour-Premier Harold Wilson, in dem sie ihm vor Augen führt, wie gering die Handlungsspielräume letztlich sind. Dabei fällt die Bemerkung, daß die Distanz zum Volk wie die Rituale kein Ausdruck der Arroganz seien, sondern notwendiger Schutz. Ein Schutz für die Dynastie, die durch Mysterium und Tradition ein Gefüge schaffe, das ihr überhaupt erst erlaube, dem Land jenen Dienst zu leisten, den nur sie leisten könne.

Man darf annehmen, daß das die Sichtweise ist, die die Macher der Serie teilen, die – gleichweit entfernt von Kammerdienerperspektive wie jeder oberflächlichen Sympathie für eine „Königin der Herzen“ – das Kunststück fertigbringen, den objektiven Gehalt der Monarchie zu zeigen. Die „konsumiert“ (Arnold Gehlen) wie jede echte Institution ihre Träger und bietet keinen Raum für das, was man gemeinhin „Selbstentfaltung“ nennt.

Aber man kann noch einen Schritt weitergehen und auf etwas hinweisen, das überhaupt den Kern des Königsgedankens ausmacht: daß der Herrscher durch die Übernahme seines Amtes tatsächlich ein anderer wird, eben kein „normaler“ Mensch bleibt. Das wird mit der Rede von den „zwei Körpern“ (Ernst Kantorowicz) des Königs zu fassen gesucht – einem irdischen und einem überirdischen – oder mit der Formel „divinisation temporaire“ (Karl Hauck), „zeitweise Vergöttlichung“. Vorstellungen, die uralt sind, und durch das Christentum zwar begrenzt, aber nicht aufgehoben wurden. Der österreichische Dichter Franz Grillparzer ließ in einer seiner Tragödien Rudolf von Habsburg nach der Erhebung sagen:

„Nicht Habsburg bin ich, selber Rudolf nicht;/ In diesen Adern rollet Deutschlands Blut./ Und Deutschlands Pulsschlag klopft in diesem Herzen./ Was sterblich war, ich hab es ausgezogen/ Und bin der Kaiser nur, der niemals stirbt./ Als mich die Stimme der Erhöhung traf,/ Als mir, dem nie von solchem Glück geträumt,/ Der Herr der Welten auf mein niedrig Haupt/ Mit eins gesetzt die Krone seines Reichs,/ Als mir das Salböl von der Stirne troff,/ Da ward ich tief des Wunders mir bewußt/ Und hab gelernt, auf Wunder zu vertraun!“

Als Grillparzer das schrieb, war die dahinterstehende Vorstellung zwar noch lebendig, aber nicht mehr selbstverständlich. Das Republikanische rückte unaufhaltsam vor. Könige hatte man nicht nur abgesetzt und vertrieben, sondern auch enthauptet, und sie starben wie gewöhnliche Menschen. Der Begriff Gottesgnadentum schien zu einer Formel erstarrt, die kaum noch Inhalt besaß. Rituale wie sie jetzt noch bei der Inthronisation des japanischen Kaisers vollzogen wurden, als der Tenno verborgen Zwiesprache mit seiner Ahnherrin – der Sonnengöttin Amaterasu – hielt, konnte sich ein Europäer im 19. Jahrhundert kaum noch vorstellen. Dagegen scheint in Japan die Würde des Herrschers selbst die von den amerikanischen Siegern 1945 erzwungene Absage an seine himmlische Herkunft überstanden zu haben und auch die rapide Modernisierung und Verwestlichung des Landes.

Die vierte Staffel wird bereits produziert

Die japanische Mentalität mag eine solche Koexistenz erleichtern. Für die westliche bleibt es bei einem Balanceakt. Der Erfolg von „The Crown“ – die vierte Staffel wird nach Angaben von Netflix bereits produziert – hat sicher auch mit einem Interesse an ungewöhnlichen Biographien zu tun, aber kaum mit den Sensationsbedürfnissen, die die Klatschpresse befriedigt. Dazu sind die Charaktere zu differenziert gezeichnet, setzt die Handlung zu viel voraus. Eher wird man davon ausgehen dürfen, daß etwas angesprochen wird, was man als Begegnung mit dem Archetypischen bezeichnen könnte. Das Königtum bleibt faszinierend, weil es unauflösbar Reste des Geheimnisvollen bewahrt, die keine Entzauberung beseitigt. Als in „The Crown“ das erwähnte Gespräch zwischen der Königin und Wilson damit endet, daß Elisabeth von ihrem Premier eine Antwort darauf verlangt, wie man es denn gerne hätte – zugewandt oder majestätisch – antwortet er mit entwaffnender Offenheit: „Wir wissen nicht, was wir wollen.“

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