© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Zeitschriftenkritik: Osteuropa
Rußlands konservative Kunst macht mobil
Dirk Glaser

In der heißen Phase des Kalten Krieges, 1950 gegründet, erfüllte die Monatszeitschrift Osteuropa nie das fragwürdige Ideal „reiner Wissenschaft“. Also folgt das Organ der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde seit fast 70 Jahrgängen der jeweiligen Hauptrichtung westlicher Politik gegenüber dem Sowjetimperium und seinen Nachfolgestaaten. So setzte das Gros der Autoren seit den frühen 1970ern pünktlich auf die sozialliberale „Entspannungspolitik“, in den achtziger Jahren auf Gorbatschows „Glasnost“, ab 1989, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, auf die „Demokratisierung“ postsowjetischer Gesellschaften, und, spätestens seit 2012, mit der Wiederwahl Wladimir Putins zum Präsidenten Rußlands, auf Nato-Sprachregelungen adaptierende Kritik an dessen „autoritärer“ Herrschaftspraxis.

Entsprechend ist das Anti-Putin-Ressentiment auch in dem der russischen Kulturszene gewidmeten Osteuropa-Heft (5/2019) überall präsent. Trotzdem blieb erstaunlich viel Raum für differenzierte, allerdings nicht aus deutschen Federn fließende Sondierungen. So beginnt der Historiker  Evgenij Kazakov (Universität Perm) zwar im Stil westlicher „Qualitätsmedien“ mit einer Tatarenmeldung über eine von Aufrufen „empörter Eltern“ orchestrierte Verbotswelle, die im Herbst 2018 vierzig Konzerte von „Hip-Hoppern“ und „Rappern“ stoppte. Die Ursachen der Kampagne bedürften noch einer genauen Analyse. Fest stünde bis heute nur, daß Putin sich dagegen ausgesprochen habe und wenig auf staatliche „Unterdrückung Andersdenkender“ oder einen „koordinierten Angriff auf Subkulturen“ hindeute. Vielmehr bemühten sich hochrangige Politiker, den bislang ungelösten Konflikt zu entschärfen und Hip-Hopper, die nie regimekritisch anecken, in die offizielle Kulturszene zu integrieren. Und dies, obwohl mächtige Gegner dieser Musik, die die nach westlichem Muster steigenden Suizidraten und Amokläufe von Jugendlichen als deren „zersetzende“ Folgen beklagen, ein generelles Verbot fordern.

Aber auf Verbote sind Putins Kulturpolitiker nach Meinung der Politologin Lena Jonson (Universität Göteborg) und der Slavistin Maria Engström (Uppsala) schon längst nicht mehr angewiesen. Denn gegen die „liberale“ Werte transportierende „kritische Aktionskunst“ wachse der Widerstand, der von den Künstlern selbst komme. Organisiert werde er seit Mai 2017 vom „Russischen Künstlerverband“, dessen erklärtes Ziel es sei, über die Kunst nationale Identität zu stiften. Aber nicht nur diese „neue konservative Kunst“ suche die Auseinandersetzung mit den „dekadenten“ Lebensentwürfen des Neoliberalismus. Auch in der Modeszene entstehe eine international erfolgreiche „Russische Alternative“, die mit ihren „Antimodels“, die die „Hochglanzstandards der ‘Ersten Welt’“ provozieren, sowie mit ihren Kollektionen die symbolische Dominanz des Westen brechen  und das „Ende der Globalisierung“ einläuten wollen.

Kontakt: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (Hrsg.), Schaperstr. 30, 10719 Berlin. Das Heft kostet 12 Euro, ein Jahresabo 98 Euro.

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