© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Dem Plan der Grünen, Hamburg in das „Labor der Welt“ zu verwandeln, würde man gefaßter entgegensehen, wenn die Partei nicht bekannt dafür wäre, die Ergebnisse ihrer Sozialexperimente grundsätzlich zu ignorieren.

˜

Frauenfragen I: Pünktlich zu Halloween wurde ein Manifest unter dem Titel „Hexen aller Länder vereinigt Euch!“ publik. Zu den prominenten Unterzeichnerinnen gehört neben Charlotte Gainsbourg auch Marlène Schiappa, Staatssekretärin für die Gleichstellung der Geschlechter in der französischen Regierung, Funktionärin der Partei Macrons La République en Marche, stellvertretende Bürgermeisterin von Le Mans. Versuche, diese Initiative lächerlich zu machen oder als unseriös abzutun, hat Madame Schiappa mit dem Hinweis gekontert, daß sie aus einer korsischen Familie stamme, in der es seit je Magie gebe. Im übrigen handele es sich bei der Hexerei um eine uralte Methode weiblicher Machtausübung, eine Vorform des modernen Feminismus.

˜

Am 17. November hat Papst Franziskus im Vatikan mit 1.500 Armen die Mahlzeit geteilt. Aus Rücksicht auf die anwesenden Muslime wurde kein Schweinefleisch gereicht.

˜

Stefan Liebich, Abgeordneter der Linken, hält auf Distanz zu den Demonstranten in Hongkong und signalisiert Verständnis für die KP in Peking. Es scheint da das „Hoch die Internationale Solidarität!“ aus früheren Tagen nachzuwirken. Aber Liebich muß sich auch der Kritik stellen. Zum Beispiel von seiten der Bürgerrechtlerin Glacier Kwong, die ihn darauf hinweist, daß die chinesische Regierung gar keine kommunistische mehr sei: sie bete den Dollar an. So groß die Sympathie für Glacier Kwongs Anliegen sein mag, es bleibt die Frage, ob sie mit ihrer Kritik die Sache trifft. Jean Baudrillard meinte jedenfalls, daß die USA das einzige Land der Welt seien, in dem die von Marx vertretenen Ideale wenigstens annähernd verwirklicht wurden: materialistische Ideologie, Kollektivismus, totale Entwurzelung, Konsum als letzter Lebenszweck.

˜

Von T. S. Eliot wird der Satz zitiert, daß die Menschen nur wenig Wirklichkeit vertragen. Dem würden die meisten wahrscheinlich spontan zustimmen. Aber mir kommt regelmäßig der Verdacht, daß die Feststellung im wesentlichen für Menschen aus Eliots Klasse gilt: Gebildete, Akademiker, Intellektuelle, Menschen mit einem bürgerlichen oder großbürgerlichen Lebenszuschnitt. Die einfachen Leute verblüffen im allgemeinen mit ihrem Realitätssinn oder der Ungeschminktheit ihrer Feststellungen. Erst wenn die Angst einsetzt, bei einem „Vorurteil“ oder „Stereotyp“ erwischt zu werden oder die Regeln der Political Correctness verletzt zu haben, beginnt die ungesunde Verdrängung dessen, was wirklich ist.

˜

Der schwarze Rapper Nick Conrad, 1983 in Frankreich geboren, Sohn eines Diplomaten aus Kamerun, wurde zu einer Geldstrafe von 5.000 Euro verurteilt, nachdem er in einem seiner Werke gefordert hatte, die Weißen aufzuhängen. Demgegenüber ging er straffrei aus, nachdem er neuerdings davon „singt“, Frankreich zu Tode zu vergewaltigen und lebendig zu verbrennen. Das Gericht fand die Textpassagen uneindeutig.

˜

„Wir stehen zu den deutschen Soldaten, die ihrer besten Überlieferung getreu, sich dem Volk in sittlicher Verpflichtung verbinden. Das den pflichttreuen deutschen Soldaten nach dem Zusammenbruch von 1945 geschehene Unrecht hat ihre Ehre nicht berührt.“ (Hamburger Programm der CDU, 1952)

˜

Die „pluralistische Linke“ Frankreichs gibt wahrscheinlich das Modell ab für die Art und Weise, in der der Progreß der westlichen Welt zukünftig auftritt; nach dem Kollaps der Traditionsparteien und dem Wegfall der Arbeitermilieus. Was sich da zusammentut, um Unterschriften unter flammende Proteste zu setzen oder hinter Transparenten herzuziehen, war Anfang des Monats am „Marsch gegen Islamophobie“ zu studieren. Zur Teilnahme hatten nicht nur diverse muslimische Lobbygruppen – mit und ohne Verbindung zu den Radikalen – aufgerufen, sondern auch die Wortführer des antiweißen Rassismus, Feministinnen, Vertreter der Grünen, die Kommunisten von der Gewerkschaft CGT und der Postkommunist Jean-Luc Mélenchon, der sonst den Hohepriester des Laizismus gibt.

˜

Frauenfragen II: Die wachsende Zahl der Jungen, die lieber Mädchen sein wollen, führt der italienische Psychologe Claudio Risé nicht auf das Festsitzen im „falschen Körper“ zurück, sondern auf Ichschwäche und Konformismus. In einer Welt, die ihnen dauernd attraktive, kluge, erfolgreiche Frauen oder attraktive, kluge, von Männern geschundene Frauen präsentiere, liege es nahe, sich auf die Seite der Sieger oder wenigstens der Guten zu schlagen. Das von Risé angesprochene Phänomen wird gelegentlich auf einen „kastrierenden Feminismus“ zurückgeführt.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 13. Dezember in der JF-Ausgabe 51/19.