© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

In Licht und Farbe aufgelöst
Schrecken und Genuß: Eine sehenswerte Ausstellung in Münster präsentiert etwa 80 Werke des englischen Malers William Turner
Ralf Fritzsche

Ich habe es nicht gemalt, damit es verstanden würde, sondern weil ich zeigen wollte, wie solch ein Schauspiel aussieht.“ Der Satz stammt von Joseph Mallord William Turner, einem der bedeutendsten englischen Maler der Romantik, dem jetzt in einer Ausstellung in Münster unter dem Titel „Horror and Delight“ gedacht wird.

Der Titel der Schau beruft sich auf Edmund Burkes philosophische Schrift über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. Turners Bilder zeigen oft gewaltige Naturerscheinungen, die sich in hohen Gipfeln, tiefen Schluchten, Lawinen oder Stürmen manifestieren können. Den Betrachter mögen sie zunächst mit Schrecken erfüllen, doch weil er selbst nicht diesen Urgewalten real ausgesetzt ist führt die distanzierte Perspektive letzten Endes zu einem Genuß, einem „delightful horror“. 

William Turner wird 1775 in London als Sohn eines Friseurs geboren. Schon in jungen Jahren streift er bei seinem Onkel in Oxford gern durch die Natur und legt sein erstes Skizzenbuch an. Sein Vater schätzt das Talent seines Sohnes so sehr, daß er sogar dessen Zeichnungen in seinem Geschäftslokal ausstellt und verkauft. 1789 verschaffen ihm wohlhabende Förderer ein Stipendium an der Royal Academy of Arts. Dort macht er sich schnell einen Namen, so daß er bald mit vielen Auftragsarbeiten versehen wird, die ihn finanziell unabhängig machen. 1802 unternimmt er Studienreisen nach Frankreich und in die Schweiz, und im selben Jahr wird er Vollmitglied der Royal Academy. Wie wohlhabend er damals schon war, zeigt sich am Anbau seines Hauses in London, wo er eigene Werke ausstellt – in der englischen Kunstwelt damals ein absolutes Novum. 1807 wird er Professor an der Royal Academy. Einer ersten Italienreise 1819 folgen weitere Fahrten nach Rom (1828/29) und Venedig (1833 und 1840). In hohem Alter zieht sich Turner aus der Öffentlichkeit zurück. 1851 stirbt er in seinem Haus in Chelsea.

Konturen verschwimmen in einem pulsierenden Raum

In dieser Ausstellung erhält man einen guten chronologischen Überblick über die Entwicklung Turners und kann verfolgen, wie sich seine anfangs noch sehr gegenständliche Malerei langsam auflöst in Farbspiele, bei denen die Konturen immer mehr verschwimmen.

Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Frühwerk Turners, welches vor allem der Landschaftsmalerei gewidmet ist. Vorbilder waren für ihn der Franzose Claude Lorrain und die Briten Richard Wilson und John Robert Cozens. Eine Zäsur bedeuteten die Reisen nach Frankreich und in die Schweiz. Angesichts hoher Berge und tiefer Schluchten lernt er eine scheinbar unbezwingbare Natur kennen und verarbeitet diese Eindrücke bildlich. Sehr wichtig für Turners weitere Entwicklung sind seine Italienreisen. Nun erhalten Licht und Farbe in seinem Werk eine neue Dimension. Vor allem bei seiner letzten Reise in Venedig spielt der topographische Aspekt nur noch eine untergeordnete Rolle; Licht und Farbe stehen im Vordergrund, Gemälde und Aquarelle bekommen eine fluoreszierende Wirkung. Als Beispiel sei aus seiner Spätzeit das Gemälde „Venedig – Maria della Salute“ genannt, bei dem im starken Sonnenlicht Venedig eher als Silhouette denn als Stadtlandschaft erscheint.

Eine große Bedeutung nimmt das Meer ein, vor allem wenn er die Kräfte von Wasser und Luft in Form von zerstörten Schiffen darstellt. Werke von Niederländern und Franzosen aus dem 18. Jahrhundert dürften hier als Vorbilder gedient haben. Auch im Spätwerk Turners, mit dem dieser als moderner Maler präsentiert wird, ist das Meer thematisiert, wobei die Auflösung der Formen und der freie Auftrag der Farbe schon weit fortgeschritten sind. Wasserfläche, Horizont und Himmel verschwimmen zugunsten einer übergreifenden Atmosphäre, welche teilweise diffuse und teilweise transparente Bilder hervorbringen.

Turner kam es immer mehr darauf an, einen pulsierenden Raum darzustellen, als eine Landschaft naturgetreu wiederzugeben. Doch auch wenn viele ihn heute als einen Vorläufer der abstrakten Kunst sehen, wollte er selber lediglich sinnlich Erfahrbares und Wahrnehmbares ausdrücken. Sein Schaffen blieb mit Nachwirkung vor allem auf die Impressionisten von eminenter Reichweite.

Die Ausstellung „Turner. Horror and Delight“ ist bis zum 26. Januar 2020 im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster, Domplatz 10, täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr, Fr.–So. von 10 bis 20 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet 27 Euro.

 www.lwl.org