© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Reise in die eigene Vergangenheit
Kino I: „Die schönste Zeit unseres Lebens“ hat eine gute Ausgangsidee, macht aber zu wenig daraus
Dietmar Mehrens

In der US-Komödie „Die Truman Show“ (1998) ist das Leben der Hauptfigur Truman Burbank eine Endlos-Realityshow: Ohne daß Truman selbst etwas davon weiß, schaut eine riesige TV-Gemeinde ihm dabei zu, wie er seinen Alltag meistert. In der französischen Komödie „Die schönste Zeit unseres Lebens“ stellt Regisseur Nicolas Bedos diese Konstellation auf den Kopf. Diesmal sind es die Hauptfiguren, die in einer eigens für sie arrangierten Szenerie das Geschehen um sie herum bestimmen. Die Regie ist ein Dienstleister, der die Einhaltung der Vorgaben streng überwacht.

 „Ich glaub’, du lebst schon zu lang“

Allerdings müssen die französischen Trumans dafür, daß sie Helden ihrer eigenen Geschichte sein dürfen, ein stattliches Sümmchen hinblättern. Erfinder dieses für das Medienzeitalter typischen Geschäftsmodells ist Antoine Drumond (Guillaume Canet). Da die meisten Kunden sich in eine andere historische Epoche wünschen, versteht er sein Angebot auch als virtuelle Zeitreise. Kunden können sich also auch in die Ära von Marie Antoinette versetzen lassen; Antoine sorgt für Kostüme und Kulissen, die alles authentisch wirken lassen. 

Antoines Vater Victor (Daniel Auteuil) antwortet auf die Frage, in welche Zeit er sich gerne mal versetzen lassen würde: „Die Steinzeit. Damals hab ich noch mit meiner Frau geschlafen.“ Und Antoines Mutter Marianne (Fanny Ardant) sagt ihrem Mann ins Gesicht: „Ich glaub’, du lebst schon zu lang.“ Diese Dialogsplitter lassen sowohl Rückschlüsse auf den Zustand der Ehe von Victor und Marianne zu als auch auf die Art von Humor, mit der Regisseur und Drehbuchautor Nicolas Bedos beim Publikum zu punkten trachtet.

Wer nun vermutet, daß „Die schönste Zeit unseres Lebens“ zwischenmenschliche Befindlichkeiten unter dem Einfluß von Eros, Eitelkeit und Eifersucht in französischer Schwerenöter-Manier verhandelt, der vermutet richtig. Es geschieht also, was geschehen muß: Victor bucht bei seinem Sohn eine Zeitreise ins Jahr 1974, das Jahr, in dem er Marianne kennenlernte. Antoine besetzt die Rolle der jungen Marianne, in die Victor sich spontan verliebt, ausgerechnet mit seiner extrem attraktiven Freundin Margot (Doria Tillier). Und während Marianne ihren Mann mit einem Jüngeren betrügt, kommen Victor und Margot sich näher, als es Antoine lieb sein kann. Denn auch die Beziehung zwischen ihm und Margot hat schon bessere Tage gesehen ...

Am Anfang bereits das meiste Pulver verschossen

Der Film von Nicolas Bedos, der sich – welch ein Zufall – kurz vor der Premiere des Werks privat gerade von Doria Tillier trennen mußte, lebt von einer originellen Plot-Idee und seinen charismatischen Altstars, dem „französischen De Niro“ Daniel Auteuil und der grande dame Fanny Ardant, die seit vierzig Jahren im französischen Kino eine feste Größe ist.

Nach turbulentem Beginn macht sich zunehmend bemerkbar, daß Bedos, der zugibt, in seinem Drehbuch Erfahrungen aus der Beziehung zu Tillier verarbeitet zu haben, schon am Anfang das meiste Pulver verschossen hat. Im weiteren Verlauf fehlen für ein Filmfeuerwerk die zündenden Ideen. Zeitkritische Aspekte wie ein ironischer Blick auf die Hippie-Generation oder die spannende Frage, ob nach E-Books, E-Commerce und E-Learning nun die E-Mitmenschlichkeit auf uns zukommt, werden erdrückt von Huldigungen an den sexualisierten Zeitgeist, niveauarmen Witzen und Klischees. Die Genialität der „Truman Show“ wirkt im Vergleich wie Kino von einem anderen Stern – oder einer anderen, schöneren Zeit.

Kinostart am 28. November