© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Die ganze Welt ist ein Striplokal
Kino II: Der Film „Hustlers“ von Lorene Scafaria zeigt eine vollkommen aus der Art geschlagene Form des Profitstrebens
Dietmar Mehrens

Lange Zeit sieht es so aus, als wäre „Hustlers“ (übersetzt: Gauner) der überflüssigste Film des Jahres, ersonnen einzig zu dem Zweck, Alice Schwarzer und mit ihr sämtliche Anhänger des #MeToo-Aufschreis auf die Palme zu bringen: Ohne Unterlaß zeigt der Film Frauen, die sich gern halbnackt ausziehen, lasziv auf einer Bühne tanzen oder an einer Stange drehen und sich dabei von Männern begaffen, betatschen und mit Geld bewerfen lassen.

Wir sehen Frauen, die die Macht betört, die sie mit ihren erotischen (oder so gemeinten) Posen auf Männer ausüben, und die es lieben, sich von dem Geld, mit dem sie beschmissen werden,  teure Pelze, Autos, i-Phones, Schuhe, Handtaschen und alles andere kaufen zu können, was Frauen Spaß macht. Für sie ist, mit den Worten ihrer Anführerin Ramona (Jennifer Lopez), die ganze Welt ein Striplokal: „Die einen schmeißen Geld auf die Bühne und die andern tanzen.“

Zumindest bis zum großen Börsenkrach 2008 hat diese Weltanschauung Bestand. Doch dann machen sie sich plötzlich rar, die New Yorker Börsenyuppies, die ihr schnell verdientes Geld in Stripteasebuden verjubeln, nicht selten über 10.000 Dollar an einem Wochenende. Nun ist guter Rat teuer. Ein anständiger Broterwerb, das merken Ramona, Destiny, Mercedes und Annabelle rasch, ist ihre Sache nicht.

Dauer-Fleischbeschau in der ersten Filmhälfte

Ramona muß also nicht viel Überzeugungsarbeit leisten, um ihre Gefährtinnen für ein innovatives Geschäftsmodell – ohne Stangentanz – zu gewinnen: Männer werden wie Opfer-Prototyp Gary umgarnt, mit einem Ketamin-Ecstasy-Cocktail aus dem Verkehr gezogen und ihre Konten per Kreditkarteneinzugsverfahren um eine vier- bis fünfstellige Summe erleichtert. Bald werden die umtriebigen Damen zu CEOs ihrer eigenen höchst erfolgreichen Firma. Gewissensbisse quälen sie keine: Die dummen Machos, die Frauen zu Lustobjekten degradieren, haben es schließlich nicht besser verdient. Das könnte Alice Schwarzer dann schon wieder gefallen.

Wie Sofia Coppolas „The Bling Ring“ (2013), der eine weibliche Einbrecherbande beim Herumräubern in Kaliforniens Reiche-Leute-Vierteln beobachtet, beruht auch der Taffe-Mädels-Film von Lorene Scafaria auf einer Magazinreportage. Beide Filme porträtieren die häßliche Fratze des Kapitalismus und zeigen eine vollkommen aus der Art geschlagene Form des Profitstrebens in einer auf Konsum- und Luxusgüter versessenen Welt, der jede nicht-materielle Sinngebung abhanden gekommen ist.

Risse tun sich in „Hustlers“ erst auf, als Ramona auf einsetzende Skrupel der zarter besaiteten Destiny (Constance Wu) ungewohnt rabiat reagiert. Und natürlich gäbe es diesen Film nicht, wäre die durchtriebene Weiberbande nicht irgendwann aufgeflogen.

„Hustlers“ hält den dekadenten westlichen Konsumgesellschaften den Spiegel vor. Allerdings hätte die Produktionsmannschaft den Spiegel bei der Darstellung einer ganzen Reihe von Unappetitlichkeiten beim wilden Treiben der Animierdamen ruhig ein bißchen früher wegdrehen und dafür etwas länger auf die zwischenmenschlichen Dramen richten können.

Vor allem der Konflikt zwischen Destiny und Ramona, den beiden Zentralgestirnen des kleptomanischen Quartetts, die auch eine enge persönliche Freundschaft verbindet, kommt viel zu kurz. Er hätte dem Film mehr emotionale Intensität und Dramatik verleihen können. Laut Votum des US-Publikums hat Scafaria mit ihrer Dauer-Fleischbeschau in der ersten Filmhälfte indes alles richtig gemacht. Die amerikanischen Kinobesucher machten J.Lo & Co. mit einem Einspielergebnis von über 100 Millionen Dollar zum Renner. Wie viele derjenigen, die ins Kino rannten, Männer waren, ist nicht bekannt.