© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Ermittelt wird weiterhin gegen Unbekannt
Vor dreißig Jahren fiel der Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen einem Attentat zum Opfer
Thomas Schäfer

Zum Ende der 1980er Jahre stand die Deutsche Bank vor der damals größten Herausforderung ihrer Geschichte. Die Gewinne der angelsächsischen Konkurrenz explodierten geradezu, nachdem diese das Geschäft mit dem digital gestützten Investmentbanking und andere innovative Formen der spekulativen Geldvermehrung entdeckt hatte. 

Damit die Deutsche Bank hier mithalten konnte, war es nötig, sie von Grund auf zu modernisieren. Wegen der Beharrungskräfte innerhalb des Geldinstitutes verlief dieser Prozeß jedoch sehr schleppend. Daraufhin verlor der damalige Vorstandssprecher Alfred Herrhausen die Geduld und initiierte die Übernahme der nicht sonderlich gut beleumundeten britischen Investmentbank Morgan Grenfell, um schneller auf dem neuen Markt Fuß fassen zu können – das wurde am 27. November 1989 publik. Hierdurch sollte nun ein ganz neuer Wind in der Deutschen Bank wehen. 

Dem selben Zweck diente Herrhausens Vorhaben, die Regionalfürsten innerhalb des Hauses zu entmachten, gegen das sich allerdings während der Vorstandssitzung vom 29. November 1989 massiver Widerstand regte. Das erschütterte die Position des Bankchefs derartig, daß er erwog, seinen Rücktritt zu verkünden. Die entscheidende Aussprache über Herrhausens strategische Weichenstellungen und die möglichen personellen Konsequenzen daraus war für den 30. November 1989 angesetzt – fand dann allerdings nicht mehr statt.

RAF-Bekennerschreiben war wenig glaubwürdig

Als der Wagen des Vorstandssprechers am Morgen dieses Tages den Seedammweg in Bad Homburg passierte, explodierte ein sieben Kilogramm schwerer TNT-Sprengsatz, der auf dem Gepäckträger eines am Straßenrand abgestellten Fahrrades deponiert worden war. Die Splitter der Bombe durchlöcherten die hintere Seitentür des Mercedes, wobei ein weggesprengtes Teil der Türverkleidung Herrhausens rechte Oberschenkelarterie zerriß. Das führte innerhalb von acht bis neun Minuten zum Tod durch Verbluten. 

Während dieser Zeit versuchte nur der Fahrer des Vorstandssprechers, Erste Hilfe zu leisten, war aber selbst durch diverse Verletzungen daran gehindert. Hingegen verweilten die unversehrt gebliebenen Personenschützer, welche übrigens im Dienste der Deutschen Bank und nicht des Bundeskriminalamtes standen, untätig in ihrem Begleitfahrzeug – angeblich, weil sie die Explosion weiterer Bomben befürchteten.

Zwei Tage nach dem Anschlag tauchte ein Bekennerschreiben der linksterroristischen Rote-Armee-Fraktion (RAF) auf, in dem diese sich zu der Tat bekannte: Das Kommando Wolfgang Beer habe Herrhausen „hingerichtet“, weil seine Bank für zwei Weltkriege und „millionenfache Ausbeutung“ verantwortlich sei. Das war dann freilich auch schon der einzige Beleg dafür, daß die RAF hinter dem Ganzen steckte. 

Ein angeblicher „Kronzeuge“, der später die RAF-Mitglieder Christoph Seidler und Andrea Klump sowie zwei weitere Personen namens „Stefan“ und „Peter“ der Täterschaft bezichtigte, entpuppte sich als psychisch kranker V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes, der aus der linksextemistischen Szene kam und 1992 seine Aussage im WDR-Magazin „Monitor“ vor laufender Kamera komplett widerrief. Außerdem besaß Seidler, der 1996 aus der RAF ausstieg, ein perfektes Alibi für die Tatzeit, er lag im Krankenhaus. Seitdem ermittelt die Generalbundesanwaltschaft nur noch gegen „Unbekannt“, weswegen die Spekulationen über die tatsächlichen Mörder ins Kraut schossen.

So wurde natürlich auf die Querelen innerhalb der Deutschen Bank und die zahlreichen Feinde Herrhausens in dem Geldinstitut verwiesen. Oder man beschuldigte den US-Auslandsgeheimdienst CIA. Immerhin hatte der Vorstandssprecher auf der Weltbanktagung 1987 und der Bilderberger-Konferenz 1988 einen Schuldenerlaß für die Entwicklungsländer gefordert, was manche US-Banken mit derart heftigen Attacken quittierten, daß Herrhausen sich ernsthaft bedroht fühlte und zeitweise sogar eine schußsichere Weste trug.  

Und tatsächlich war das Attentat ungewöhnlich professionell vorbereitet und ausgeführt worden – das kann als Indiz für eine geheimdienstliche Beteiligung gelten. Apropos Geheimdienst: Nach der „Wende“ in der DDR geriet auch die Staatssicherheit des Honecker-Staates in Verdacht, den bundesdeutschen Wirtschaftsführer zur Strecke gebracht zu haben. Beispielsweise vermeldete das Wall Street Journal 2008, hinter dem Mord stecke die Stasi-Sondereinheit AGM/S. Im Gegensatz zur CIA ist beim „Schild und Schwert“ der SED allerdings kein Motiv erkennbar – da hätten sich im Herbst 1989 ganz andere Zielpersonen angeboten. Ansonsten fällt natürlich auch auf, daß das Hessische Landeskriminalamt die Tat mit etwas mehr Professionalität hätte verhindern können – wer oder was hielt die Beamten davon ab?