© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/19 / 29. November 2019

Zauberhafte Auftritte
Adventszeit: In vielen Städten eröffnen Christkinder die Weihnachtsmarktsaison
Paul Leonhard

Am zauberhaftesten ist der Auftritt vielleicht in Regensburg. Das „Fürstliche Christkind“ taucht beim „Romantischen Weihnachtsmarkt“ auf Schloß Thurn und Taxis in seinem traumhaften Gewand wie aus dem Nichts auf, begrüßt die Gäste mit einem Gedicht, beschenkt sie mit einer Prise Glück verheißendem Sternenstaub und ist wieder verschwunden. 

Die Vorweihnachtszeit ist die Hochzeit für junge Mädchen, die sich einmal in der Rolle des Christkinds ausprobieren wollen. Überall im deutschsprachigen Raum wurden im Herbst von Städten und Veranstaltern „himmlische Job“ ausgeschrieben. Gesucht wurden selbstbewußte Mädchen, die in der Lage sein sollten, vor großen Menschenmengen zu sprechen. Sie sollten offen und kommunikationsfreudig sein, sich in den Bräuchen auskennen und Kinderfragen mit viel Phantasie beantworten können. Bedingung für das Wiener Christkindl war zudem, daß es nicht nur perfektes Deutsch sprechen kann, sondern auch gutes Englisch. 

In Regensburg sollten die Bewerberinnen lange, blonde Haare haben. Die zum Nürnberger Christkindl gewählte Benigna Munsi hätte da mit ihren langen schwarzen Locken keine Chance gehabt, aber auch in Nürnberg muß die 17jährige Perücke tragen, wenn sie am 29. November von der Empore der Nürnberger Frauenkirche aus den Christkindlesmarkt eröffnet. Denn die Zeremonie sieht vor, daß die Symbolfigur blond gelockt mit goldener Krone und weiß-goldenem Gewand auftritt.

„Blond steht für die Reinheit der Seele, dunkle Haare hingegen verströmen leicht einen Hauch von Verruchtheit und Laster“, erläutert die Internetzeitung Görlitzer Anzeiger: Würde man diese Vorurteile „mal beiseite legen, wäre die Zeit für ein dunkelhäutiges Christkindel längst reif“. Diesen Ball mußten die Veranstalter des Schlesischen Christkindlmarktes zu Görlitz  nicht aufnehmen, alle Bewerberinnen waren blond.

Vorurteilsbehaftet scheint auch die Geschlechterfrage zu sein. Das zeigt das Beispiel eines Bewerbers mit langen blonden Locken und blauen Augen, überdies in den Bräuchen versiert. Nur stimmte das Geschlecht nicht. Der 22jährige Stefan Thor wurde 1993 als Nürnberger Christkind abgelehnt, um dann eigenständig mit goldener Krone, Engelsflügeln und blonden Locken dem offiziellen Christkind Konkurrenz zu machen. 2008 geriet das Prozedere um die Nürnberger Christkind-Auswahl erneut in die Schlagzeilen, als ein 49jähriger abgelehnt wurde, weil er keine Frau, zu alt und zu groß sei. Prompt verklagte der Mann die Stadt wegen Diskriminierung. Schließlich stelle das Christkind den jungen Jesus Christus dar und dieser sei eindeutig männlich. Tatsächlich bringt noch heute im Erzgebirge das knabenhafte Bornkinnel, das geborene Kindlein, traditionell die Geschenke.

Aus der Stabsstelle Spiritualität und Gottesdienst des Erzbistums Köln heißt es zur Problematik: „Die Gestalt des Christkindes hat eine Eigendynamik entwickelt und ist eher eine mythologische Phantasiegestalt – halb Jesuskind, halb Engelchen, ein androgynes Wesen.“ Unwiderlegbar ist die Antwort, die Weihnachtsforscher Manfred Becker-Huberti gibt: Da das Christkind niemand gesehen habe, wisse niemand, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.

Den Gabenbringer „Heilig Christ“ hatte Reformator Martin Luther um 1545 ins Spiel gebracht, um die Verehrung des Heiligen Nikolaus („kyndisch Ding“) als Schutzpatron der Kinder (und Seeleute) zu beenden. Aus diesem entwickelte sich in vielen protestantischen Ländern das Christkind, welches den Nikolaus verdrängte. 

Die Niederländer hielten an ihrem Sinterklaas fest. Holländische Auswanderer pflegten diese Tradition auch in den USA, wo Santa Claus entstand, der als Weihnachtsmann zurück nach Europa kehrte. Die Protestanten begeisterten sich für die Figur des bärtigen Alten, zu dessen Ruhm Heinrich Hoffmann von Fallerslebens Text von 1835 „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ beigetragen hat.

Konfessionelle Unterschiede

Parallel dazu fanden mehr und mehr Katholiken an dem ursprünglich evangelischen Christkind Gefallen, während viele Protestanten heute ihre Kinder von einem amerikanisierten Weihnachtsmann beschenken lassen. 

Und der Nikolaus? Der hat eine Doppelrolle übernommen: Er eröffnet vielerorts gemeinsam mit dem Christkind den Weihnachtsmarkt und hat weiterhin seinen großen Auftritt in der Nacht zum 6. Dezember, wenn er die geputzten Schuhe der Kinder mit kleinen Gaben füllt.