© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

„Man muß die Partei ‘mitnehmen’“
Seit dem Parteitag am Wochenende hat die AfD neben Jörg Meuthen einen neuen Vorsitzenden. Wer ist der frischgebackene Bundessprecher Tino Chrupalla?
Moritz Schwarz

Herr Chrupalla, was ändert sich unter Ihrer Führung?

Tino Chrupalla: Das wird sich zeigen. Natürlich möchte ich auch neue Impulse setzen, vor allem aber gilt es, die Fortsetzung des bisherigen erfolgreichen Kurses zu garantieren. 

Was soll sich dann verändern? 

Chrupalla: Ich bin jetzt noch keine 24 Stunden im Amt, erst mal muß ich die Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle kennenlernen. Dann werden Jörg Meuthen, mit dem ich den Parteivorsitz teile, und ich eine Lageanalyse erstellen, auf deren Basis gearbeitet werden kann. Ich sehe mich vor allem als Stimme der politisch Heimatlosen, von Mittelschicht, Mittelstand und Handwerk. 

Hauptproblem der AfD ist, in den Medien meist auf die Frage ihrer politischen Ausrichtung reduziert und zu anderem kaum zu Wort zu kommen. Wenn Sie mit anderen Themen durchdringen wollen, müssen Sie erst mal eine Strategie dagegen finden. Wie soll die aussehen?    

Chrupalla: Daran müssen wir weiter arbeiten. Es wird uns häufig gesagt, wir reagierten bei unfairen Angriffen viel zu defensiv. Es stimmt aber nicht, daß unsere Sachthemen nicht wahrgenommen werden. Die FDP zum Beispiel steht ziemlich unter Druck, weil wir zum Teil ihre Themen besetzen, wie Mittelstand und Handwerk. Unsere Sacharbeit wirkt eher unterschwellig, aber sie wirkt. Das möchte ich hier deutlich festhalten.

Besserung versprochen hinsichtlich der Problematik hat bereits Ihr Vorgänger. Nur passiert ist nichts.

Chrupalla: Richtig ist, daß sich die Medienschelte nicht verringert hat. Die beruht häufig auf einer feindseligen Grundhaltung, auf die wir leider keinen Einfluß haben. Ich finde schon, daß wir in vielen Bereichen professioneller geworden sind, das hat auch der Bundesparteitag gezeigt.

Ex-Parteichef Gauland hat mitunter angedeutet, daß die AfD – changierend zwischen vorbildlicher Basisdemokratie und politischem Starrsinn – im Grunde nicht zu führen sei, Stichwort „gäriger Haufen“. Wie also wollen Sie das fertigbringen?

Chrupalla: Natürlich kann man die Partei führen, aber man muß sie dabei mitnehmen – was Herr Gauland ja auch verstanden hat. Kontakt zur Basis gehört bei uns natürlich dazu, ja ist geradezu Teil des Bürgerlichen, das die AfD ausmacht und etwas, was wir den anderen demokratisch voraushaben. Doch stimmt, daß das konstruktiv gestaltet werden muß. Daß uns das gelingen kann, zeigt sich unter anderem daran, daß viele Journalisten den Parteitag vom Wochenende in Braunschweig fast wie einen der anderen Parteien beurteilten.

Was meinen Sie damit?

Chrupalla: Bisher hatten wir damit zu ringen, daß auf Parteitagen die Basisdemokratie aus dem Ruder lief. Dieser Parteitag verlief geordnet, und wir haben trotzdem lebendig diskutiert.

Mancher kritisiert, daß mit Ihnen der Wunschkandidat des bisherigen Parteichefs gewählt worden ist. Das sei typisch für die „Altparteien“ und ihr Eliten-Geklüngel. 

Chrupalla: Ich kann die Bedenken verstehen, doch wenn die AfD langfristig erfolgreich sein will, muß sie sich professionalisieren, wozu Kontinuität und Berechenbarkeit gehören. Und die – auch in Form einer Stabübergabe – zählt zu den Aufgaben einer Parteiführung. Aber wissen Sie, was ich witzig finde? Eben noch kritisieren Sie zu wenig Führung – und nun ist es Ihnen zu viel. 

So ist das mit den Journalisten. 

Chrupalla: Es ist ja auch Ihr Recht zu fragen, was Sie wollen, ich wollte nur darauf hinweisen. Übrigens bin ich ja nicht von Herrn Gauland ernannt, sondern vom Parteitag gewählt worden, und also demokratisch legitimiert. Und ich habe offenbar überzeugt, sonst hätte ein anderer gewonnen.

Hat mit Ihrem Sieg über Gottfried Curio mit 55 zu 41 Prozent der „Flügel“ eine Schlappe erlitten, wie die Medien meinen?

Chrupalla: Nein, zum einen haben wir beide Stimmen des Flügels erhalten. Zum anderen trifft nicht zu, daß Dr. Curio und ich für unterschiedliche „Linien“ gestanden hätten. Es war eine Entscheidung zwischen Personen, nicht zwischen Richtungen. Im übrigen schätze ich ihn als brillanten Redner im Bundestag und hervorragenden Politiker im Innenausschuß. Und natürlich möchte ich auch seine Wähler nun von meiner Arbeit als Bundessprecher überzeugen.

Laut Medien sind Sie andererseits quasi „mit Gnade“ des Flügels gewählt worden.

Chrupalla: Auch das ist Unsinn, der Flügel ist eine Strömung in der Partei, aber nicht die heimliche Macht.

Also was ist dran am erneuten AfD-„Rechtsruck“, den die Medien feststellen?

Chrupalla: Nichts, das wird uns auf jedem Parteitag attestiert. Der beste Beweis ist meine Wahl. Denn, wenn auch zu Unrecht, so galt den Medien doch Herr Curio als Kandidat der „Rechten“. 

Allerdings wird argumentiert, daß alle namhaften Kandidaten, die als „bürgerlich“ gelten, bei der Wahl zum Bundesvorstand gescheitert sind. 

Chrupalla: Das ist nicht ganz richtig. Es wurden ja dafür andere Kandidaten gewählt, die auch nicht dem Flügel zugerechnet werden, zum Beispiel Alice Weidel, Beatrix von Storch, Jochen Haug, Sylvia Limmer, Klaus Fohrmann, oder Joachim Kuhs. 

Der Ex-Landeschef in Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, und der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk haben ihr Scheitern bei der Wahl des neuen Bundesvorstands allerdings als Sieg des Flügels erklärt. 

Chrupalla: Erinnern Sie sich an einige Aussagen Herrn Gottschalks, etwa der Flügel schaffe eine „Schneise der Verwüstung“ in der Partei? Er spielte seine Kritik über die Medien, trug sie also nach außen. Es waren Verhaltensweisen wie diese, die man ihm übelnahm, nicht seine bürgerliche Ausrichtung.

Als Sachse gelten Sie den Medien als Vertreter des „Ostens“, sehen Sie sich auch so? 

Chrupalla: Ja, sicher.

Sie betonen allerdings gerne, daß Sie Schlesier sind. Sind Sie also gar kein Sachse?

Chrupalla: Doch auch, aber für uns sächsische Schlesier ist es wichtig, das klarzustellen, da das kleine Stückchen Niederschlesien, das Deutschland noch geblieben ist, sonst hinter dem großen Sachsen zu „verschwinden“ droht.

Also vertreten Sie nicht den Westen?

Chrupalla: Meuthen und ich vertreten die ganze Partei. Aber natürlich möchte ich auch die Gefühlslage und Stimme des Ostens verstärkt in die Partei tragen.

Je stärker Mitteldeutschland in der Partei vertreten sei, so die Medien, desto radikaler werde diese. Stimmt das?

Chrupalla: Sicher ist die Tonalität dort eine andere als im Westen, klar, weil man dort eine andere historische Erfahrung gemacht hat. Aber daß diese extrem sei, trifft nicht zu. Selbst Herr Höcke in Thüringen hat keinen extremen Wahlkampf gemacht. Hätten wir das getan, dann, das garantiere ich Ihnen, hätten wir nicht die guten Ergebnisse bekommen, die wir bei den drei Landtagswahlen dort erzielt haben. Die Menschen in Mitteldeutschland als radikaler darzustellen ist auch deshalb absurd, weil gerade sie wegen der Diktaturerfahrung eher sensibel gegenüber Bevormundung sind. 

Etliche der „AfD-Skandale“ entbehren zwar jeder Grundlage und wurden von den Medien herbeigeschrieben. Aber es gibt auch immer wieder tatsächliche Entgleisungen oder Torheiten, etwa „Kopftuchmädchen und andere Taugenichtse“, „Denkmal der Schande“ oder „Vogelschiß“. Was werden Sie konkret unternehmen, um endlich das eigene Führungspersonal zu disziplinieren?

Chrupalla: Zunächst habe ich als gutes Beispiel voranzugehen und zu zeigen, daß man sehr wohl inhaltlich scharf und treffend politische Kritik üben kann, ohne sprachlich zu entgleisen. Auch müssen wir lernen, sowohl Mitglieder wie Amts- und Mandatsträger, uns nicht provozieren zu lassen – weder von außer- noch von innerparteilichen Provokateuren. Zudem will ich deutlich machen, daß alles andere unserer Sache auch nicht dienlich ist – sondern im Gegenteil nur unseren Gegnern in die Hände spielt! Und wer sich nicht daran hält, dem müssen die anderen in der Partei die Grenzen aufzeigen.

Dazu kam es auf dem Parteitag, etwa als der des Antisemitismus bezichtigte Stuttgarter Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon für den Parteivorsitz kandidierte und ein großer Teil der Delegierten sich abwandte. Das Ausschlußverfahren gegen ihn zieht sich schon „ewig“ hin. Sehen Sie hier Handlungsbedarf für sich als neuen Vorsitzenden? 

Chrupalla: Ich muß zunächst sagen, daß Herr Gedeon, solange er nicht ausgeschlossen ist, natürlich das Recht hat, auf dem Parteitag zu reden und zu kandidieren. Es wäre nicht in Ordnung, ihm das abzusprechen. Anders sieht es dann aus, wenn das Schiedsgericht seinen Ausschluß begründet feststellt – was aber bis jetzt nicht der Fall ist. Davon unabhängig meine ich aber, daß das Signal des Parteitags an seine Person in die richtige Richtung weist. 

Am vergangenen Freitag haben zwei weitere Landtagsabgeordnete die Stuttgarter Fraktion verlassen. Nun könnte sich unter Umständen eine Mehrheit für eine Wiederaufnahme des 2016 aus dieser ausgetretenen Gedeon ergeben. Können Sie nachvollziehen, wenn AfD-Kritiker mangelnden Ernst im Umgang mit dem Fall vermuten?  

Chrupalla: Die Austritte erfolgten unmittelbar vor Beginn des Parteitages. Noch konnte ich mich daher nicht mit der neuen Lage beschäftigen. Und leider muß man sagen, daß mit dieser Fraktion vieles im argen liegt. Übrigens, weil wir gerade über die Behauptung sprachen, der Radikalismus käme aus den mitteldeutschen Landesverbänden – dort haben wir in keinem Landesverband so ein Problem. Dies aber nicht, um mit dem Finger auf die Parteifreunde im Südwesten zu zeigen, sondern nur um deutlich zu machen, wie schief diese Zuschreibungen sind. 

Andererseits, besteht nicht die Gefahr, daß sich im Zuge eines Kampfes gegen Mißstände in der Partei eine Political Correctness etablieren könnte? Was wollen Sie tun, um zu verhindern, nicht den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben?

Chrupalla: Nein, ich sehe nicht, daß das passieren könnte. Denn Entgleisungen zu unterlassen oder zu sanktionieren bedeutet ja nicht, andererseits jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. 

Was ist etwa mit der Identitären Bewegung? Dabei geht es nicht um die Frage der Unvereinbarkeit – davon also unabhängig: Würde es nicht zum notwendigen Benennen von Mißständen gehören – etwa im Bundestag –, zu thematisieren, wie diese friedfertige und grundgesetzkonforme Oppositionsgruppe im Grunde rechtsstaatswidrig kriminalisiert wird?

Chrupalla: Ich muß einräumen, daß ich mit dem Fall zu wenig vertraut bin. So ist mir etwa nicht bekannt, welche Personen sich tatsächlich hinter der IB verbergen. Solange wir aber die Strukturen der Gruppe nicht genau kennen, können wir uns nicht für sie einsetzen, weil wir sonst zu Recht in Mithaftung genommen werden können.

Die Person, die in der Partei am meisten polarisiert, ist Björn Höcke. Wie stehen Sie zu ihm?

Chrupalla: Ich muß sagen, daß meine persönlichen Kontakte mit ihm stets von Fairneß und Vernunft geprägt waren – wir haben sowohl Einvernehmlichkeiten als auch Kritik aneinander ausgetauscht. Ich will damit sagen, daß wir uns gegenseitig klar und deutlich die Meinung sagen, im Guten wie im Schlechten. Deshalb betrachte ich mein Verhältnis zu ihm als kollegial. Daß er generell parteischädigend handelt, wie ihm vorgeworfen wurde, sehe ich nicht so.   

Nun erheben die Medien auch Ihnen gegenüber Vorwürfe: Auf einer AfD-Wahlveranstaltung vor zwei Jahren haben Sie das Wort „Umvolkung“ aus dem Publikum aufgegriffen und benutzt. 

Chrupalla: Ich mußte mich erst mal an den Abend erinnern, wer weiß schon, was er vor zwei Jahren gesagt hat. Ich habe daraufhin mit einem mir bekannten Herrn, der die NS-Zeit noch erlebt hat, telefoniert und ihn nach dem Begriff gefragt. Er sagte mir, ihm sei er aus dieser Zeit unbekannt. Aber wie auch immer, falls es doch ein NS-Begriff sein sollte, was ich nicht weiß, dann kann ich nur sagen, daß wir ja gerade das, was die Nationalsozialisten mit dem Begriff bezeichnet haben, ablehnen! Wenn wir also das Wort gebrauchen, dann gerade nicht, wie die damaligen Machthaber, um es uns positiv zu eigen zu machen. Sondern um unseren unbedingten Widerstand gegen so etwas deutlich zu machen! Fakt ist, daß die Bundesregierung im Rahmen eines EU-Programms gezielt ausländische Bevölkerung nach Deutschland umsiedelt – sie nennt das eben „Resettlement“. Letztlich geht es aber nicht um die Bezeichnung, sondern um das, was da passiert. Und deshalb ist es besser, wir verzichten auf einen Begriff und diskutieren dafür über das Problem, als über den Begriff und dafür nicht über das Problem. 

Sie sind Kreisvorsitzender, direktgewählter Bundestagsabgeordneter, Vize-Fraktionsvorsitzender und nun auch noch Parteichef. Ist das nicht zuviel? 

Chrupalla: Ich bin es als Selbständiger zum Glück gewöhnt, sehr viel zu arbeiten – ich fühle mich dem gewachsen.

Braucht die AfD nicht einen Generalsekretär, wie andere Parteien auch?

Chrupalla: Diese Debatte gab es schon unter Bernd Lucke und Frauke Petry. Damals gab es in der Partei dafür keine Mehrheit, und das scheint sich nicht geändert zu haben. 

Wie wollen Sie und Jörg Meuthen, der noch Abgeordneter in Brüssel ist, die Partei effektiv führen und ausbauen, wenn das für Sie nur eine Aufgabe unter vielen ist? 

Chrupalla: Sie ist nicht eine von vielen, sondern die wichtigste überhaupt! Ich denke, das sieht auch Herr Meuthen so. Einige Aufgaben, etwa den Kreisvorsitz und die kommissarische Leitung des Arbeitskreises Wirtschaft und Energie im Bundestag, werde ich abgeben.

Als Malermeister stehen Sie nun einer ehemaligen „Professoren-Partei“ vor. Erleben Sie Häme deswegen?

Chrupalla: Ich habe in der Bundestagsfraktion bewiesen, daß man sich auch ohne akademischen Grad sinnvoll einbringen kann, wenn man über andere nützliche Qualitäten verfügt, die einem beim Studium gar nicht beigebracht oder gar abtrainiert werden. Also, ich nehme das ganz gelassen, wenn mal so was kommt. Zudem finde ich es eher von Vorteil, daß wir nicht alle Akademiker sind. Denn ich weiß, daß die Bürger nicht nur von solchen repräsentiert werden wollen. Ich sagte schon, wie sehr mir der Mittelstand, das Handwerk und die Selbständigen am Herzen liegen. Warum? Weil ich nämlich ihre Lage, ihre Sorgen, Nöte und Probleme aus dem eigenen Erleben kenne. 

Betont haben Sie, sich mehr für Frauen einsetzen zu wollen. Wie soll das aussehen?

Chrupalla: Ich bekomme von Frauen immer wieder zu hören, daß die Tonalität der AfD abschreckend wirkt. Das sollten wir ernst nehmen! Außerdem glauben wir, daß ein übersteigerter Feminismus nicht im Interesse der Frauen ist. Ich erlebe vielmehr, wie wichtig ihnen Sicherheit und eine lebenswerte Zukunft für ihre Kinder sind. Da wollen wir ansetzen, denn ohne die Frauen hat die AfD keine Zukunft.  






Tino Chrupalla, der Bundestagsabgeordnete ist einer von zwei Bundessprechern, wie die AfD ihre Parteivorsitzenden nennt. Der Familienvater und Inhaber eines Malerbetriebs mit sieben Mitarbeitern wurde 1975 in Weißwasser in der Oberlausitz geboren.

www.tinochrupalla.de

Foto: Gauland-Nachfolger und AfD-Chef Chrupalla: „Es heißt, wir reagierten bei unfairen Angriffen zu defensiv und daß unsere Sachthemen nicht wahrgenommen werden. Das stimmt nicht“ 

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