© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Partei in der Pubertät
Vorstandswahl: Die AfD soll erwachsen werden – sie gibt sich in Braunschweig erkennbar untergärig
Christian Vollradt

Aus der Werbung sind Verheißungen wie: „Jetzt noch aprilfrischer, noch cremiger, noch verbrauchsärmer …“ allzu bekannt. Medienberichte über Parteitage der AfD haben häufig einen ganz ähnlichen Klang: „Jetzt noch rechter.“ Dieses Narrativ wird hier und da auch nach der Zusammenkunft vom vergangenen Wochenende fortgesetzt – allerdings nicht mehr so einhellig wie bisher. Zu Recht. Von einem eindeutig erkennbaren Ruck in die eine oder die andere Richtung kann nach dem 6. Bundesparteitag der AfD nicht gesprochen werden. Braunschweig ist nicht Hannover. Und auch nicht Köln und schon gar nicht Essen. 

Der von den Mühen des Co-Sprecheramtes entbundene und am Sonntag zum ersten AfD-Ehrenvorsitzenden gekürte Alexander Gauland war jedenfalls rundum zufrieden. Es lief „besser, als ich erwartet hätte“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Sein Wunschnachfolger, der sächsische Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla (Interview Seite 3) hat es an die Spitze der Partei geschafft, trotz eines im Vorfeld als stark eingeschätzten Gegenkandidaten Gottfried Curio. 

„Für Rechtsaußenpartei nicht zur Verfügung“

Jörg Meuthen, von manchen innerparteilichen Widersachern bereits als angeblich „wackelig“ abgeschrieben, holte bereits im ersten Wahlgang knapp 70 Prozent – ein Traumergebnis für AfD-Verhältnisse. Er hatte die Erwartungen noch am Vorabend heruntergeschraubt und die Parole ausgegeben: gewählt ist gewählt, sei es mit 50 Prozent plus einer Stimme. 

Es kam bekanntlich anders. In seiner Vorstellungsrede hatte der 58jährige Vorsitzende der AfD-Delegation im EU-Parlament deutlich gesagt, er stehe „für eine Rechtsaußenpartei nicht zur Verfügung“. Als ihn in der Fragerunde Kontrahenten aus dem eigenen Kreisverband angingen, wurde Meuthen deutlich: „Das was Sie betreiben, ist schäbig. Es geht Ihnen nur darum, mich zu beschädigen.“ Der aufbrandende Beifall machte deutlich, daß die Chancen auf Wiederwahl des Bundesvorsitzenden besser standen, als es einige Gerüchteköche geweissagt hatten. 

Die Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst, von einem Teil des „Flügels“ zur Gegenkandidatur ermuntert, bekam ein Viertel der Stimmen. Für das baden-württembergische Partei-Enfant-terrible Wolfgang Gedeon („Ich bin die AfD in der AfD“), das gegen die „Stasifizierung durch die Parteiführung“ wetterte, stimmten 22 von knapp 600 Delegierten. Als er am Rednerpult stand, drehten sich viele im Saal ostentativ um, hoben die roten Nein-Stimmkarten in die Höhe, riefen „Pfui“ oder verließen die Halle. Diese nahezu einhellige Ablehnung war möglicherweise das deutlichere Signal als ein bisher aus formalen Gründen gescheiterter Parteiausschluß. Und ganz offensichtlich hatten die meisten der anwesenden Journalisten mit solch einer Geste nicht gerechnet. 

Die Partei sei halt doch erwachsen geworden, meinte Alexander Gauland bereits am Ende des ersten Verhandlungstags in der Braunschweiger Volkswagenhalle. In seiner Eröffnungsrede hatte er genau dies als „erfreuliche Aussicht“ bezeichnet. Die AfD müsse eine „patriotische, demokratische und bürgerliche Volkspartei“ bleiben. Der Traum einiger weniger von einer „kleinen sozialrevolutionären Partei“ sei unrealistisch. „Wenn Grüne, Rote und Dunkelrote zusammengehen, wird der Tag kommen, an dem eine geschwächte CDU nur noch eine Option hat: uns!“ 

Gaulands Nachfolger Tino Chrupalla stimmte in dieses Credo ein, als er die „bürgerliche Mitte, die Leute, die morgens im Dunkeln zur Arbeit fahren und im Dunkeln zurückkehren“ als Kernzielgruppe der AfD in den Blick nahm. Dafür bedürfe es keiner „drastischen Sprache“. Sein Co-Vorsitzender Meuthen schlußfolgerte: „Wir müssen nun regierungsfähig und -willig werden.“ Wer frühere Parteitage der Blauen miterlebt hat, weiß, daß solche Formulierungen einst toxisch waren, wollte man als Kandidat reüssieren. Genau wie die Forderung nach „Professionalisierung“, die in Meuthens Rede mehrfach vorkam, während Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel bei ihrer – erfolgreichen – Bewerbung um den Posten als erste Vize-Vorsitzende diesen Begriff lieber nicht gebrauchte. Doch mittlerweile scheint die Einsicht, daß dies zum Erwachsenwerden der Partei dazugehört, daß man es nicht auf Dauer beim Protest belassen kann, Allgemeingut zu sein. „Die Chance, die wir mit der AfD haben, kommt nicht wieder, wenn sie vertan ist“, hatte Gauland gemahnt. 

„Wer antritt, will            auch gewählt werden“

Manches, was da von der Parteiführung gesagt und von den Delegierten mit Beifall aufgenommen wurde, klang fast so, als stamme es aus jenem berüchtigten „Zukunftsantrag“, mit dem die  damalige Co-Vorsitzende Frauke Petry beim Parteitag 2017 in Köln Schiffbruch erlitten hatte. Es gelte nicht nur „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, sondern auch „Wer zu früh kommt …“, meint ein Delegierter dazu schmunzelnd. Die Basis der AfD bevorzuge eben kleine Schritte und reagiere allergisch auf Parteiobere, die wie von einem Feldherrnhügel herab die Massen auf ein fernes strategisches Ziel hin dirigieren wollen. 

Apropos Basis: Daß man in der AfD immer noch mit einer schmissigen Rede Herzen und Stimmen gewinnen kann, bewies in Braunschweig Stephan Brandner, Überraschungskandidat für einen der Vizes, nachdem sich zuvor der Wunschkandidat der Führung, Roland Hartwig, und der frühere rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Uwe Junge die Aussicht auf diesen Posten gegenseitig streitig gemacht hatten. Brandner, frisch abgesetzter Ex-Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag, profitierte zum einen von einem gewissen Mitleids- und Trotzeffekt, zum anderen konnte er mit einer launigen und mit Selbstironie gespickten Vorstellung punkten. „Solange ich rede, kann ich nicht twittern“, bemerkte er unter Anspielung auf vergangene Fehltritte in dem sozialen Netzwerk.

Hartwigs Nicht-Wahl wurde vor allem als Rückschlag für die neue Vizevorsitzende Weidel gewertet. Sie zeigte sich in der Tat „sehr enttäuscht“, da sie den Leiter der internen Arbeitsgruppe Verfassungsschutz als Top-Juristen gern dabeigehabt hätte. Der Bundestagsabgeordnete nahm seine Niederlage professionell auf. Er sei natürlich persönlich enttäuscht, so Hartwig („Wer antritt, will auch gewählt werden“), zeigte sich insgesamt aber sehr zufrieden mit den Ergebnissen des Parteitags. Offenbar war in Teilen des Flügels doch noch eine gehörige Portion Mißtrauen gegen seine Person oder Funktion vorhanden. 

Dominierte also der Flügel in Braunschweig? Nur scheinbar. Tatsächlich verfehlten einige prominente innerparteiliche Gegner der Gruppierung um Björn Höcke die für die Wahl notwendige Mehrheit und gehören dem Bundesvorstand nicht (mehr) an: Berlins Landes-chef Georg Pazderski, Uwe Junge oder Kay Gottschalk. Andererseits scheiterten auch mehrere Kandidaten des Flügels, und sogar dessen führender Kopf Andreas Kalbitz schaffte seine Wiederwahl als Beisitzer nur denkbar knapp. Anders als sein Mitstreiter Frank Pasemann, dessen Amt als stellvertretender Schatzmeister künftig Carsten Hütter innehat. Das von ihm ausgegebene Ziel, die Zahl der Flügel-Vertreter an der Parteispitze zu verdoppeln, hat Höcke verfehlt. 

Dagegen zogen mit dem Hamburger Bürgerschaftsmitglied Alexander Wolf und dem rheinland-pfälzischen Landtagsabgeordneten Joachim Paul zwei neue Beisitzer ein, die im Sommer den Appell gegen den Personenkult („Die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei“) genauso mitunterzeichnet hatten wie die wiedergewählten Vorstände Klaus Fohrmann und Joachim Kuhs. Zufriedene und Enttäuschte gab es also am Ende hier wie da.

Der neue AfD-Bundesvorstand

Bundessprecher Jörg Meuthen Tino Chrupalla  

stellv. Bundessprecher Alice Weidel   Stephan Brandner Beatrix von Storch    

Schatzmeister Klaus-G. Fohrmann

stellv. Schatzmeister Carsten Hütter 

Schriftführer Joachim Kuhs

Beisitzer Sylvia Limmer   Andreas Kalbitz  Jochen Haug  Stephan Protschka Alexander Wolf Joachim Paul