© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Eine Hand wäscht die andere
Filz und Vetternwirtschaft bei der Arbeiterwohlfahrt: Wohlfahrtspflege für die Genossen hat Tradition
Alexander Graf / Martina Meckelein

Was kann ein alter, weißer, grauhaariger Mann denn noch mehr vom Schicksal erwarten? Ein mächtiges Amt, eine junge Frau und gutes Geld. Da steht Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann in Siegerpose. Strahlend präsentiert sich der Sozialdemokrat nach seiner Wiederwahl als Oberbürgermeister von Frankfurt am Main im März 2018. Gemeinsam mit seiner schönen Ehefrau Zübeyde feiert er da noch den Sieg. Doch das Lächeln könnte ihm – und auch ihr – vergangen sein. Denn die Affäre um die Verflechtung der Frankfurter SPD mit der Arbeiterwohlfahrt (Awo) droht nicht nur den Oberbürgermeister mitzureißen. Bundesweit gibt es Hinweise, daß einer der mächtigsten Wohlfahrtsverbände Deutschlands durch Genossen- und Vetternwirtschaft ein strukturelles Problem hat. Die Symbiose zwischen SPD und Arbeiterwohlfahrt steht 100 Jahre nach der Gründung der Awo auf dem Prüfstand.

Awo-Arbeitsverträge von SPD-Mann unterschrieben

„Hessen ist doch nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Uwe Witt. Er ist arbeits- und sozialpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. „Die Verstrickungen zwischen Parteien und paritätischen Verbänden, und das bundesweit, sind seit Jahren bekannt. Der parteipolitische Gegner, der als Korrektiv auftreten könnte, tut dies nicht, eben weil er aus Eigeninteresse lieber schweigt.“

In Frankfurt schweigt der politische Gegner zwar nicht, seine Kritik ist jedoch moderat. Was die Medien allerdings nicht davon abhält, täglich zu berichten. Und jede Zeile ist ein Offenbarungseid – für die Awo.

Zübeyde Feldmann war in die Schlagzeilen geraten, weil sie als Leiterin einer deutsch-türkischen Awo-Kita ein ungewöhnlich hohes Jahresgehalt erhält, nebst Dienstwagen. Ihr Mann schwieg lange dazu. Als er sich schließlich gegenüber der Bild-Zeitung äußerte, behauptete er, nicht zu wissen, was seine Frau verdient. Das halten nicht nur die politischen Gegner für unwahrscheinlich. So rücken auch der SPD wohlgesonnene Medien inzwischen vom Stadtoberhaupt ab.

Zu seinem eigenen Verhältnis zur Awo hüllt sich Feldmann in Schweigen. So soll vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister eigens für ihn eine Stelle bei dem Wohlfahrtsverband geschaffen worden sein, berichtet der Hessische Rundfunk unter Berufung auf eine anonyme Awo-Mitarbeiterin. Nachdem der Sozialdemokrat zum Stadtoberhaupt der Mainmetropole geworden war, blieb die Stelle unbesetzt.

Bislang liegt nichts gegen Feldmann vor, was strafrechtlich relevant wäre. Doch das sei nicht der entscheidende Punkt, sagte der hessische Landesvorsitzende der AfD, Robert Lambrou, der JUNGEN FREIHEIT. „Wer sich als Politiker hauptsächlich damit verteidigt, daß sein Tun aber doch legal war, hat nichts verstanden und entpuppt sich letztendlich als Raupe Nimmersatt, die sich direkt oder indirekt die Taschen vollmacht.“

Doch wie weitere Enthüllungen nahelegen, sind die Feldmanns nur die prominentesten Beispiele für ein höchst problematisches Nahverhältnis zwischen hessischer Sozialdemokratie und Awo. Demnach erhält ein 33jähriger Nachwuchspolitiker der SPD ein stolzes Jahresgehalt von 100.000 Euro plus Dienstwagennutzung. Dabei soll er immer noch als Student an der evangelischen Hochschule Darmstadt eingeschrieben sein.

Eine weitere Genossin mit Dienstwagen und Spitzenposten ist die erst 30 Jahre alte Myrella Dorn. Die Frankfurter Stadtratsabgeordnete ist Abteilungsleiterin bei der Arbeiterwohlfahrt und damit verantwortlich für 26 Mitarbeiter. Das ist bemerkenswert, bedenkt man, daß Dorn laut Homepage der Stadt Frankfurt als berufliche Stationen lediglich „verschiedene Tätigkeiten im sozialen Bereich“ und „als Werkstudentin in der Flüchtlingshilfe bei der Awo angestellt“ vorweisen kann. Ein Kenner der hessischen Politik und der Wohlfahrtsverbände äußerte gegenüber der JF, die personellen Verflechtungen zwischen SPD und Awo gingen so weit, daß sie teilweise „deckungsgleich“ seien.

Das trifft auch in Hessens Landeshauptstadt Wiesbaden zu. Wie der Wiesbadener Kurier berichtet, waren der Lebenspartner von Ex-Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD), Helge Gerich, und Sozialdezernent Christoph Manjura (SPD) in Lohn und Brot bei der Arbeiterwohlfahrt. Auf Antrag der AfD und der Grünen sollen dort nun die Aufträge der Stadt an die Awo überprüft werden. Manjura zeigte sich laut Frankfurter Rundschau überzeugt, daß es ähnlich hohe Gehälter wie in Frankfurt in Wiesbaden nicht gegeben habe.

Ob das nicht voreilig war? Immerhin sind die Awo-Verbände von Frankfurt und Wiesbaden personell aufs engste verbunden. So ist der Frankfurter Awo-Geschäftsführer Jürgen Richter zugleich ehrenamtlicher Vize-Vorsitzender in Wiesbaden. Seine Ehefrau Hannelore Richter, die bis vor kurzem Geschäftsführerin in Wiesbaden war, ist Sonderbeauftragte der Awo in der Bankenmetropole am Main. Ihr Sohn Gereon Richter ist übrigens der Mutter auf den Platz als Vorsitzender gefolgt.

Laut eigener Aussage bringt die Wiesbadener Awo die negative Berichterstattung der vergangenen Wochen nicht aus der Ruhe. Die neue stellvertretende Vorsitzende Elke Wansner ließ während der Kreiskonferenz Ende Oktober die Anwesenden wissen, man werde sich nicht rechtfertigen, „weil es nichts zu rechtfertigen gibt“.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern scheint es eine rege Zusammenarbeit zwischen Partei und Arbeiterwohlfahrt zu geben. Dort war der ehemalige Geschäftsführer des Awo-Kreisverbands Müritz, Peter Olijnyk, wegen Bereicherung zu einer Schadenszahlung von 390.000 Euro verurteilt worden. Er hatte sich zuvor seine Tätigkeit für den Verband zwischen 2004 und 2016 mit jährlich bis zu 150.000 Jahresgehalt entlohnen lassen.

Seine Arbeitsverträge hatte laut Ostsee-Zeitung der SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemaliger Vorsitzender desselben Awo-Kreisverbands Götz-Peter Lohmann unterschrieben. Im Gegenzug unterzeichnete Olijnyk einen Beratervertrag für Lohmann als Psychologen für den Awo-Kreisverband. Da es auch in anderen Kreisverbänden im Nordosten finanzielle Auffälligkeiten gab, beschäftigt sich mittlerweile ein Untersuchungsausschuß des Landtages mit den Vorgängen.

Für dessen Einsetzung hatte sich der damalige AfD-Fraktionsvorsitzende Leif-Erik Holm eingesetzt. „Wir haben im Landtag nicht ohne Grund gegen den Willen aller anderen Parteien einen Awo-Untersuchungsausschuß einberufen. Auch hier hatten sich Funktionäre der vermeintlichen Wohlfahrtsorganisation gegenseitig üppige sechsstellige Gehälter gezahlt“, erinnerte sich Holm, der mittlerweile für die AfD in den Bundestag gewählt wurde, gegenüber der JF.

In dem Zusammenhang geriet auch die persönliche Referentin von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), Antje Butschkau, ins Visier. Sie war seit 2016 Awo-Kassenprüferin, als die Unregelmäßigkeiten bereits bekannt waren.

Holm glaubt angesichts dessen nicht an Zufälle. „Hinter der Awo-Korruption steckt wohl System. Es ist doch kein Wunder, daß die Vetternwirtschaft des massiv mit Steuergeldern gefütterten Vereins vor allem dort blüht, wo die SPD in der Regierung sitzt. Da drückt Genosse Landesminister eben gerne mal beide Augen zu, wenn sich Genosse Awo-Chef die Taschen vollhaut.“ Wobei die unübersichtliche Struktur der Wohlfahrtsverbände seit jeher ein ganz besonders guter Nährboden für Korruption ist. Es liegt an der Historie ihres Entstehens – nicht nur der Awo.

Es ist ein Begriffsungetüm: Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). In ihr sind die sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland zusammengeschlossen: die Arbeiterwohlfahrt, den Deutschen Caritasverband, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, das Deutsche Rote Kreuz, den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Beschäftigungszahl: 1,724 Millionen Menschen, Stand 2015. Geschätzter Jahresumsatz: rund 55 Milliarden Euro, mehr als die Branchen der Textil- und Bekleidungsindustrie oder das gesamte Gebrauchsgütergewerbe. Gegründet wurden sie Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Relativ spät, erst 1919, gründete im Parteiauftrag die SPD-Reichstagsabgeordnete Marie Juchacz die Arbeiterwohlfahrt. Nur der Paritätische wurde noch später – 1924 – gegründet.

Die Finanzierung ist undurchsichtig. „Gemeinsam ist allen Wohlfahrtsverbänden ihre finanzielle Abhängigkeit vom Staat“, so die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (Fowid), die 2005 von der Giordano-Bruno-Stiftung gegründet wurde. „Die Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege werden über verschiedene Arten und Kostenträger (Krankenkassen, Pflegeversicherung, staatliche Sozialleistungen, öffentliche Zuwendungen, Spenden, Lotterien usw.) finanziert. Da für die verschiedenen Tätigkeitsbereiche unterschiedliche Mischfinanzierungen vereinbart und geleistet werden, sind zusammenfassende Aussagen kaum möglich.“ Niemand kenne die Umsätze der Wohlfahrtsimperien, so die Fowid. „Denn es sind keine Unternehmen, die in ihrer Gesamtheit agieren und geführt werden, sondern viele rechtlich eigenständige Kreis- und Landesverbände sowie unabhängige Trägergesellschaften, die ihre Ergebnisse nicht offenlegen müssen.“

„Erschreckender Mangel an Kompetenz“ 

Die Fowid weiter: „Der größte Teil der Finanzierung stammt aus Entgelten für Leistungen aus der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Dabei werden die Zahlungen zwischen den Kostenträgern (GKV, GPV, PKV) und den Leistungserbringern verhandelt, die durch die Zuzahlungen der Versicherten (2008 waren dies ca. 5,3 Milliarden Euro) ergänzt werden. Leistungsentgelte werden zum Beispiel in Krankenhäusern, Heimen und Kindergärten erhoben. Die Nutzer müssen diese selbst zahlen oder bekommen diese von öffentlichen Leistungsträgern erstattet.“

Die Intransparenz der Finanzierung und die fehlende Kontrolle, die den Strukturen, der Geschichte und der Vetternwirtschaft geschuldet sind, ist übrigens seit Jahrzehnten bekannt. Der Spiegel schrieb in einem Artikel über die Wohlfahrtsverbände und speziell der Awo 1988: „Da herrscht oft erschreckender Mangel an Kompetenz. In einem durchschnittlichen Awo-Vorstand etwa säßen Männer, meist um die 60 Jahre alt, zuweilen ‘wie Scheintote’ (ein Geschäftsführer). Die Hälfte der Sitze in den Führungsgremien halten oft Hausfrauen mit Helfer-Vergangenheit oder Ehefrauen von Parteifunktionären. Sowenig solche Gremien zu aktiver Geschäftspolitik in der Lage sind, so unfähig sind sie zur Kontrolle.“

Für Holm hat die Awo nichts mehr mit ihrem ursprünglichen Anliegen zu tun. „Es handelt sich nur noch um eine SPD-Versorgungsanstalt für ‘bedürftige’ Genossen. Hätte dieser Verein noch etwas Selbstachtung vor den Armen, müßte er sich unverzüglich auflösen.“ Da er nicht mit soviel Einsicht rechnet, „sollte zumindest darüber nachgedacht werden, der Awo den Gemeinnützigkeitsstatus zu entziehen“.

Als am Freitag der Bundesvorstand der Awo den Frankfurter Mandatsträgern des Kreisverbandes empfahl, ihre Tätigkeiten ruhen zu lassen, dauerte es nicht lange, bis der Aufschrei kam. Die FAZ berichtet, daß der Ortsverein Dornbusch-Eschersheim-Ginnheim, dem sich der Ortsverein Sachsenhausen angeschlossen hat, dem Bundesvorstand in einem Brief nun eine Vorverurteilung der Frankfurter Awo-Verantwortlichen vorgeworfen hätte. Für sein Verhalten solle sich der Bundesvorstand schämen.

Mathias Mund ist Fraktionsvorsitzende der Bürger für Frankfurt im Römer. Gegenüber der jungen freiheit sagte er: „Wir fordern, daß Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann zurücktritt – je eher, desto besser.“ Andernfalls, so Mund, liefe der SPD-Politiker Gefahr, einem Abwahlverfahren nach Paragraph 76, Absatz 4 der Hessischen Gemeindeordnung ausgesetzt zu werden.





Die Awo in Zahlen

Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) ist einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Sie ist seit jeher dezentral organisiert und gliedert sich nach eigenen Angaben bundesweit in 30 Bezirks- und Landesverbände. Denen wiederum unterstehen 411 Kreisverbände, denen 3.514 Ortsvereine nachgeordnet sind. Die Awo unterhält über 18.000 Einrichtungen und Dienstleistungen, unter anderem über 2.100 Heime. Die Awo bekennt sich laut Verbandsstatut zu den „Werten“ des „demokratischen Sozialismus“.

Insgesamt hat die Awo 317.767 Mitglieder, 73.753 davon sind ehrenamtlich, 230.873 hauptamtlich tätig. Längst nicht alle Mitarbeiter werden nach Tarif bezahlt. Die Folge sind Streik­aufrufe. So hatte die Gewerkschaft Verdi erst im Juni 2019 die rund 1.800 Beschäftigten der Awo Berlin zu einem dreitägigen Warnstreik aufgerufen, wie die Berliner Morgenpost berichtete. Die Gewerkschaft forderte die Anpassung der Entgelttabellen auf das aktuelle Niveau des Tarifvertrages der Länder (TV-L). Ein Awo-Erzieher erhalte derzeit rund 330 Euro weniger als bei einer Landeseinrichtung.