© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Ein echter Sozialdemokrat
Nachruf: Der frühere Hamburger Senator und Landeszentralbank-Chef Wilhelm Nölling ist 86jährig verstorben / Engagierter Kläger gegen die Euro-Gefahren
Joachim Starbatty

Wilhelm Nölling war ein Sozialdemokrat, wie ihn die SPD von heute gut brauchen könnte. Am 17. November 1933 in Wemlighausen im Rothaargebirge als Sohn eines Waldarbeiters geboren, ist er in einer Zeit wirtschaftlicher Not groß geworden. Er hat sich aber durch Begabung und Fleiß hochgearbeitet. Nach Volks- und Handelsschule hat er eine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten gemacht. Er wollte aber weiter und bestand die Aufnahmeprüfung für die Hamburger Akademie für Gemeinwirtschaft.

Sein guter Studienabschluß und ein Stipendium der Stiftung Mitbestimmung ermöglichten ihm ein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Nach einer herausragenden Diplomarbeit erhielt er ein Promotionsstipendium an der renommierten University of California, Berkeley. Nach seinem Master of Economics wurde er mit der Dissertation „Arbeitslosigkeit und Berufsnot der Jugend in den USA“ zum Doktor rer. pol. promoviert. Er war von 1966 bis 1969 Dozent für Volkswirtschaftslehre, bevor er sich im Jahre 1969 erfolgreich um ein Bundestagsmandat bewarb. Welch ein Kontrast zu den Karrieristen in der SPD von heute. Als frühere Assistenten von Abgeordneten oder als Studienabbrecher glauben sie, überall mitreden zu können. Ganz ähnlich urteilte der große Ökonom des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, über das intellektuelle Niveau der Labour Party: „Viel zuviel wird immer von denen entschieden werden, die überhaupt nicht wissen, worüber sie reden.“

Er wußte um den Spaltpilz in einer Währungsunion

Wilhelm Nölling hatte dagegen erfahren und erforscht, worüber er redete. Nach seinem Bundestagsmandat (1969 bis 1974) diente er der Hansestadt Hamburg von 1974 bis 1982 als Senator für Gesundheit, danach für Wirtschaft Verkehr und Wirtschaft und schließlich als Finanzsenator. Von 1982 bis 1992 war er Präsident der Landeszentralbank und Mitglied des Zentralbankrates der Bundesbank. Seit 1992 gab er sein Wissen als Honorarprofessor an der Uni Hamburg an die akademische Jugend weiter.

Zwei Jahrzehnte hat sich Wilhelm Nölling mit der Europäischen Währungsunion kritisch auseinandergesetzt. Er wußte aus Erfahrung um das Bestreben Frankreichs, auf die Politik der Bundesbank einzuwirken. Ziel einer gemeinsamen Währung war für Frankreich die Steuerung der Geldpolitik nach französischer Vorstellung. Während für Deutschland Geld und Geldpolitik zu bedeutsam waren, um Politiker darüber entscheiden zu lassen, galt für Frankreich, daß Geld und Geldpolitik zu wichtig seien, um sie unabhängigen Experten anzuvertrauen. Die Behauptung des früheren Finanzministers Theo Waigel (CSU), alle potentiellen Mitglieder der Währungsunion hätten die deutsche Stabilitätskultur verinnerlicht, hielt Nölling für ein Märchen.

Er wußte um den Spaltpilz in einer Währungsunion souveräner Nationalstaaten. Deswegen hat er sich mit Wilhelm Hankel, einem Weggefährten aus seiner Bundestagszeit, verabredet, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, wenn Bundesregierung und Bundestag trotz Verletzung der Maastricht-Kriterien die Währungsunion am 1. Januar 1999 starten lassen wollten. Sie gewannen mich für ihr Vorhaben sowie Karl Albrecht Schachtschneider, einen der wenigen rechtswissenschaftlichen Kritiker der Europapolitik.

Nach Vorarbeiten in der Einsamkeit der Studierstube trafen sich die vier im Oktober 1997 in Frankfurt, um ihre Vorstellungen und Texte zusammenzuführen. Das ist nach weiteren Treffen auch gelungen, ein seltener Fall erfolgreicher interdisziplinärer Arbeit in praktischer Wissenschaft. Das alles war nur durch das herzliche Einvernehmen aller vier möglich, getragen von der Sorge um Deutschland und Europa, aber auch geleitet von der Sorge um die Wirtschaft und das Recht. Daß sie alters- und herkunftsmäßig sowie gesellschaftspolitisch und politisch nicht gerade aus einem Tuch gewebt waren, hat ihrem Unternehmen genutzt und eine gemeinsame Freundschaft begründet, wie sie in reiferen Jahren nur selten möglich erscheint.

Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Klage gegen die Einführung des Euro abgewiesen (Frühjahr 1998), weil Richter nicht darüber entscheiden könnten, ob die Währungsunion eine Stabilitätsgemeinschaft werde. Doch hatten die Kläger vorgebracht, daß die Konvergenzkriterien nicht erfüllt seien und deswegen die Währungsunion nicht in der vorgesehenen Form und Beteiligung beginnen dürfe. Auch bei unseren späteren Klagen hat sich das Gericht der Bundesregierung nicht in den Weg gestellt. Immerhin hat es festgehalten, daß die Bundesregierung keine Risiken eingehen dürfe, deren finanzielle Konsequenzen sie selbst nicht mehr beherrschen könne. Warten wir ab, ob sich das Bundesverfassungsgericht bei seinem Urteil über die Staatsanleihekäufe der EZB daran noch erinnert.

Wilhelm Nölling konnte zwar den Zug in Richtung einer umfassenden Haftungsunion nicht aufhalten, doch bleibt als sein Verdienst, daß er als deutscher Patriot mit Herz und Verstand für ein Europa des Rechts und der Freiheit gekämpft hat.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist emeritierter VWL-Professor der Uni Tübingen. Er war Chef der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und Abgeordneter des EU-Parlaments. Gemeinsam mit Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Karl Albrecht Schachtschneider klagte er gegen die Euro-Einführung, die Euro-Rettungsfonds und den Fiskalpakt.