© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Mit leichter Hand und spitzer Zunge
Liebeskomödie: Woody Allen feiert in diesem Monat nicht nur Geburtstag, sondern endlich auch den Start seines neuen Films in den deutschen Kinos
Dietmar Mehrens

Im Grunde gibt es nur zwei Kategorien von Woody-Allen-Filmen. Die einen sind große Existenzdramen, bei denen die klassische griechische Tragödie Pate gestanden haben könnte –  Filme wie „Match Point“, „Cassandras Traum“, „Blue Jasmine“ oder zuletzt der etwas zu Unrecht übersehene „Wonder Wheel“. Die anderen, Werke wie „Manhattan Murder Mystery“, „Schmalspurganoven“ oder „Im Bann des Jade-Skorpions“ sind leichte, heitere Fingerübungen mit sich selbst oder einem (jüngeren) Charakter-Ebenbild von sich in der Hauptrolle. Sie wirken, als hätte der New Yorker sie, gleichsam zur Auflockerung, zwischen den schweren Stoffen eingeschoben. Der neue Film des Meisters der pointierten Dialoge (der übrigens am 1. Dezember 84 wurde) ist eher der zweiten Gruppe zuzuordnen.

Über unwahrscheinliche Zufälle nicht wundern

„Das wahre Leben ist was für Leute, denen sonst nichts einfällt“, läßt der Autor und Regisseur die Zuschauer aus dem Munde einer seiner Figuren in „A Rainy Day in New York“ wissen. Und daran hält sich das Drehbuch dann auch: Vieles ist satirisch auf die Spitze getrieben, Komik rangiert vor Realismus. Daher sollte man sich als Zuschauer über eine ganze Reihe reichlich unwahrscheinlicher Zufälle nicht zu sehr wundern. 

Wie dem Titel des bereits im vorigen Jahr für Amazon Prime zwar fertiggestellten, aufgrund von sexuellen Mißbrauchsvorwürfen gegen Woody Allen aber nicht veröffentlichten Films unschwer zu entnehmen ist, geht es um einen verregneten Tag in der amerikanischen Ostküstenmetropole, an dem es phasenweise so turbulent zugeht wie in Arthur Hillers Komödie „Nie wieder New York“ von 1970. Dort ist es Jack Lemmon, der als Unglücksrabe wiederholt vom Regen in die Traufe kommt, hier ist es das Studentenpärchen Gatsby (Timothée Chalamet) und Ashleigh (Elle Fanning). Beide haben eine Reihe von Begegnungen, bei denen eine weitere Drehbuchzeile gewordene Allen-Maxime Regie führt: „Es geht immer um Sex.“

Gatsby – kleine Anspielung an F. Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby“, der ebenfalls in New York spielt – und Ashleigh sind gemeinsam in die Stadt am Hudson River aufgebrochen, weil Ashleigh für die Studentenzeitung ihrer Lehranstalt einen dicken Fisch an Land gezogen hat: ein Interview mit Regielegende Roland Pollard (Liev Schreiber). Das Treffen zieht sich in die Länge, weil Roland seine Verehrerin ins Vertrauen zieht: Ihn plagen massive Zweifel an der Brauchbarkeit seiner soeben fertiggestellten neuesten Regiearbeit. Ashleigh bringt es nicht übers Herz, Pollard seinen Seelenqualen zu überlassen, ihren Freund Gatsby, der sich auf ein gemeinsames romantisches Essen gefreut hat, sitzenzulassen dagegen schon. Der Versetzte und auch etwas Verletzte ist unterdessen ganz zufällig auf die kleine – nun aber nicht mehr kleine – Schwester (Selena Gomez) einer verflossenen Jugendliebe gestoßen und kommt ihr näher, als es für seine plötzlich akut kriselnde Beziehung zu Ashleigh gut sein kann. 

Mit spitzer Zunge nimmt Meisterregisseur Woody Allen – nicht zum ersten Mal – die eigene Branche und das eigene Liebesleben auf die Schippe. Dabei gibt es zwar nicht so viele witzige Einzeiler wie in seinem Klassiker „Der Stadtneurotiker“ von 1977, in dem gefühlt jeder dritte Satz ein zitierfähiger Aphorismus ist; für neunzig Minuten geistreiche und jugendfreie Unterhaltung, die dabei helfen, einen regnerischen Tag im grauen deutschen Winter über die Runden zu bringen, reicht es aber allemal.