© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Dynamische Pinselstriche
Ausstellung: Van Goghs Stilleben im Potsdamer Museum Barberini
Fabian Schmidt-Ahmad

Erst mit 27 Jahren fand Vincent van Gogh (1853–1890) in der Malerei seine eigentliche Lebensaufgabe. Nur zehn Jahre verblieben ihm, um ein Werk zu schaffen, das zu den wichtigsten Wegbereitern für die Kunst des 20. Jahrhunderts werden wird. Ein ständiger Wegbegleiter in dieser Dekade war ihm das Stilleben. Trotz der Bedeutung dieses Genres für seine Entwicklung wurde dem bisher noch nicht systematisch nachgegangen. Erstmals widmet sich nun eine Ausstellung dem Thema des Stillebens bei Van Gogh.

Bis zum 2. Februar 2020 versammelt das Barberini-Museum in Potsdam 27 Stilleben Van Goghs, darunter Leihgaben aus dem Kröller-Museum Otterlo, dem Van Gogh Museum Amsterdam, dem Art Institute of Chicago und der National Gallery of Art in Washington. Anliegen der Ausstellung ist es, die Bedeutung des Stillebens im Werk hervorzuheben, als intensives Experimentierfeld, auf dem Van Gogh nach einem eigenen künstlerischen Ausdruck rang. 

In der Zusammenstellung wird ersichtlich, wie viele verschiedene Ansätze Van Gogh verfolgte. Geboren in Zundern, Brabant, ging er zunächst von der traditionellen niederländischen Malerei aus, übernahm dann moderne Einflüsse, die er besonders in Südfrankreich und Paris vorfand. Trotz der teilweise frappierenden Unterschiede sind unverkennbar Gemeinsamkeiten zu erkennen. Der Drang, sich von der perspektivischen Bildauffassung zu trennen, ist nahezu bei allen ausgestellten Arbeiten zu erkennen. 

Ob es nahezu kindlich anmutende Umrißzeichnungen sind, die eine Flächenhaftigkeit betonen, wie es häufig bei den dargestellten Vasen der Fall ist, ein zusammengeschobenes Tischtuch oder Arrangements, die so gewählt sind,  daß sie kein räumliches Sehen forcieren. Dieser Wille zur eigenen künstlerischen Sprache führt Van Gogh bis in die Farbenlehre. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts legte Goethe den Ursprung zu einer Farbenlehre mit dem bekannten aquarellierter Farbkreis von 1809.

Van Gogh experimentierte aufgrund seiner Kenntnis der Ausführungen von Charles Blanc und seinen Studien verschiedener Malschulen wie der Schule von Barbizon. Selbst seine frühen, tonigen Bilder arbeiten mit Farbkontrasten. „Grün und Rot sind komplementär“, erläutert Van Gogh in einem Brief ein Obststilleben. „Nun ist ein gewisses – an sich gemeines Rot in den Äpfeln, daneben grünliche Dinge. Nun sind da Äpfel einer anderen Farbe dabei – in einer bestimmten Art Rosa –, die das Ganze gutmachen.“

Die Bilder öffnen sich inmitten des Andrangs

Immer wieder ist es erstaunlich zu sehen, wie breit gefächert Van Goghs Maltechnik ist. Das wunderschöne Mohnblumenbild, das erst nach umfangreichen Analysen als originäres Werk Van Goghs anerkannt wurde, entspricht so gar nicht dem, was für ihn als typisch gilt. Das prächtige und ungewöhnlich großformatige Bild „Wiesenblumen und Rosen“ im gleichen Raum überhöht das Dargestellte zu einem dramatischen Ereignis. Der Bildaufbau, die Farben, der Helldunkel-Kontrast – eine Reminiszenz an den von Van Gogh verehrten Rembrandt?

Immer häufiger jedoch zeigen sich bei den ausgestellten Arbeiten die für ihn so charakteristischen, dynamischen Pinselstriche, die bei Van Gogh zu einer eigenen, akzentuierenden Bildsprache werden. Sie führen den Betrachter und hegen die dargestellten Objekte ein, wie es deutlich beim Stilleben „Trauben, Zitronen, Birnen und Äpfel“ der Fall ist. Es entsteht über diese Wirbellinien eine offen geführte Kommunikation zwischen Betrachtendem und Kunstwerk.

Diese Ausstellung gehört zu den seltenen, wo Besucher nicht stören. Im Gegenteil, scheinen Van Goghs Bilder den Zuschauer als Medium der Kraftentfaltung zu benötigen. Geht man über die direkte Bildsymbolik hinaus, wie bei der Darstellung „Stilleben mit einem Teller Zwiebeln“ von 1889, wobei es sich um eine untergründige Darstellung von Van Goghs schwieriger werdenden, psychischen Zustandes halten könnte, bekommt man den Eindruck, als wenn die Bilder inmitten des Publikumsandrangs sich öffnen und therapeutisch wirken.

Zum Schluß dann ein Bild aus Van Goghs spätem Lebensabschnitt, jenen berühmten siebzig Tagen im Gasthaus von Auvers-sur-Oise, als er in einem letzten Schaffensrausch nahezu täglich ein Bild anfertigte. Die bedächtige, erdhafte Farbpalette der ersten Schritte ist bei den „blühenden Kastanien“ längst einer eiligen Farbenflut gewichen. Alles fließt, alles ist in Bewegung, das pulsierende, blühende Leben selbst will Van Gogh hier in einem Moment festhalten, bevor es vor den Augen des Betrachters zerrinnt.

Anhand der Stilleben läßt sich die kurze und rasche Entwicklung van Goghs in ihren zahlreichen Facetten, die für ein weitaus längeres Malerleben gereicht hätten, gut nachvollziehen. Sie trösten so leicht über den Wehrmutstropfen hinweg, daß ausgerechnet von Van Goghs berühmtesten Stilleben, den vier noch erhaltenen „Sonnenblumen“, keine außer Haus verliehen wird. 

Die Ausstellung „Van Gogh. Stillleben“ ist bis zum 2. Februar 2020 im Museum Barberini Potsdam, Alter Markt, Humboldtstr. 5–6, täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr zu sehen. Der Ausstellungskatalog mit, 264 Seiten kostet im Museum 29,95 Euro, sonst 39 Euro.

 www.museum-barberini.com