© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Forderungen nach gesetzlichen Vorgaben
Wahlkämpfe: Twitter verbannt politische Werbung, Facebook erlaubt diese weiterhin
Ronald Berthold

Nicht selten schränken soziale Netzwerke die Reichweite konservativer, libertärer und rechter Seiten massiv ein. Bei Facebook erhalten dadurch selbst Abonnenten keine Beiträge mehr in ihre Chronik gespült. Viele Betreiber behelfen sich mit bezahlten Anzeigen, um mehr Menschen zu erreichen. Doch seit Ende November  verbietet Twitter mit Blick auf den US-Präsidentschaftswahlkampf weltweit politische Werbung. Facebook dagegen will sich das Geschäft nicht entgehen lassen und hält bisher dem Druck, einen solchen Bann ebenfalls zu vollziehen, stand.

Der Chef des Kurznachrichtendienstes Twitter, Jack Dorsey, begründete den Schritt so: „Wir glauben, die Reichweite politischer Botschaften sollte verdient, nicht gekauft werden.“ Eine politische Botschaft verdiene Reichweite, wenn Menschen sich entscheiden, einem Account zu folgen oder ihn zu retweeten. Bezahlte Werbung dagegen zwinge Menschen hochoptimierte und zielgerichtete politische Botschaften auf. „Wir glauben, diese Entscheidung sollte nicht durch Geld gefährdet werden“, so Dorsey. Er wolle verhindern, „Abstimmungen, die Millionen Menschen betreffen“, mit Werbung zu beeinflussen.

Google schränkt „Targeting“ ein

Google schränkt unterdessen zunächst in Großbritannien bei der Wahlwerbung das sogenannte Targetting ein, die gezielte Ansprache bestimmter Bevölkerungsgruppen. Anzeigen können nur noch nach drei Merkmalen ausgespielt werden: Alter, Geschlecht und Postleitzahl. Die Briten wählen am 12. Dezember ein neues Parlament.

In den USA atmet besonders die politische Linke auf, gelten die Republikaner und Präsident Donald Trump doch als Spezialisten darin, ihre Werbung besonders zielgruppenorientiert unter die Wähler zu bringen. Auch in Deutschland jubeln die Medien. Der Tagesspiegel schreibt, das Verbot werde gerade noch „rechtzeitig zum US-Präsidentschaftswahlkampf“ 2020 erlassen. Die Demokraten setzen nämlich hauptsächlich auf Fernsehwerbung, während CNN sich weigert, einen Spot Trumps über Machenschaften seines möglichen Kontrahenten Joe Biden in der Ukraine auszustrahlen. Der Präsident schichtet sein Budget nun auf Facebook und Youtube um, wo er noch werben darf.

Viele Journalisten fordern nun auch von Facebook, politische Werbung generell zu untersagen. Dessen Chef Mark Zuckerberg hat zwar versprochen, transparenter darzustellen, wer hinter welchen Anzeigen stecke, aber ein generelles Verbot lehnt er noch ab. Vielleicht auch, weil Zuckerberg als Unterstützer des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Pete Buttigieg und seines Online-Wahlkampfes gilt. Mit Blick auf Deutschland wünscht sich das Unternehmen stattdessen „gesetzliche Vorgaben“, erklärt eine Sprecherin gegenüber der FAZ und betont: „In Gespräche dazu bringen wir uns gerne ein.“ Auch Web-Miterfinder Tim Berners-Lee plädiert in seinem vergangenen Monat veröffentlichten „Vertrag für das Netz“ für striktere staatliche Regeln.Demnach sollten Regierungen gezielte Politikwerbung sofort verbieten, „um das Vertrauen in öffentliche Debatten wiederherzustellen“.

In der Bundesrepublik soll ein Werbebann vor allem die AfD treffen, die besonders erfolgreich in den sozialen Medien agiert (JF 17/19). Die FAZ kommentierte kürzlich: „Doch auch in Deutschland sollte die Angelegenheit niemanden kaltlassen, denn hierzulande haben die Parteien ebenfalls soziale Netzwerke als weitgehend unregulierte Spielwiese für sich entdeckt. Die AfD feiert dort ganz erstaunliche Erfolge.“ Allerdings hat dies weniger mit bezahlten Anzeigen als vielmehr damit zu tun, daß die Beiträge der Oppositionsführerin besonders häufig geteilt werden. Nach einem Bericht des Focus, der sich auf die Facebook-Werbebibliothek beruft, ist die AfD sogar die Partei, die am allerwenigsten für Werbung in dem sozialen Netzwerk ausgibt. Demnach bezahlten CDU und CSU im vergangenen halben Jahr insgesamt 355.105 Euro an Facebook, die SPD 266.918, die Grünen 214.945, die FDP 114.430 und die Linke 35.305. Abgeschlagen folgt die AfD mit 27.431 Euro. Ein Werbeverbot würde also – anders als von vielen Medien erhofft und spekuliert – am wenigsten der Alternative für Deutschland schaden. Ihr Anteil an den Gesamt-Anzeigenausgaben der im Bundestag vertretenen Parteien bei Facebook liegt lediglich bei 2,7 Prozent.

Vor allem in den USA ist politische Werbung für das Zuckerberg-Imperium ein riesiges Geschäft. Seit März 2018 verdiente das Unternehmen damit mehr als 785 Millionen Euro. Die Seite Netzpolitik.org beklagt, daß Trump „auf simple Botschaften, die Emotionen wecken“, setze. Neutraler ausgedrückt heißt das, seine Werbung ist besonders erfolgreich. Denn rekordverdächtige 84 Prozent seiner Anzeigen rufen die Nutzer laut einer Facebook-Untersuchung zu einer konkreten Handlung auf: sie sollen sich an einer Umfrage beteiligen, Devotionalien kaufen oder spenden. Das erhöht auf organische, also unbezahlte Art die Reichweite. Außerdem erhält die Trump-Kampagne durch die zahlreichen Interaktionen die Daten neuer Wähler.

Das ist vielen ein Dorn im Auge. Doch Facebook hält dem entgegen, politische Argumente seien „eine wichtige Form der freien Meinungsäußerung“, selbst wenn sie Unwahrheiten enthielten, die Trumps Gegner dem Präsidenten permanent unterstellen. Der Kommunikationschef des Netzwerkes, Nick Clegg, sagt, es sei „nicht unsere Aufgabe, uns einzumischen, wenn Politiker sprechen“. Cleggs Aussagen dürften in Deutschland, wo das NetzDG vor einer Verschärfung steht (JF 46/19), bei vielen rechtskonservativen Nutzern trotzdem bitter aufstoßen.