© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

In der Tiefsee für die E-Mobilität forschen
Künftige Metallversorgung für die Energiewende / Abbau von Manganknollen in greifbarer Nähe?
Christoph Keller

Ja, es stimmt: „Sonne und Wind schicken keine Rechnung!“ Doch auf jeder privaten Stromrechnung werden 6,405 Cent EEG-Umlage pro Kilowattstunde ausgewiesen. Ab Januar sind es 6,756 Cent – plus Mehrwertsteuer. Hinzu kommen weitere Umlagen, etwa für Kraft-Wärme-Kopplung, Offshore-Windstrom oder für abschaltbare Lasten – ohne letztere hätte es schon längst einen Blackout (JF 48/19) gegeben. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das „Grünstrom“ subventioniert, und der Zwangsabschied vom „fossilen Zeitalter“ führen nicht ins Schlaraffenland. Welche vielfältigen Problemen bei der Energiewende entstanden sind, vermittelt ein Interview des Heidelberger Geochemikers Tim Kalvelage mit zwei Fachkollegen von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).

„Ein Kernanliegen der Bundesregierung“

Die Geologen Carsten Rühlemann und Ulrich Schwarz-Schampera geben im Spektrum der Wissenschaft (12/19) ausführlich Auskunft über ihre Tätigkeit, der sie seit 2006 weit weg vom BGR-Sitz Hannover nachgehen. Rühlemann leitet den Arbeitsbereich Meeresgeologie, der Manganknollenfelder im Ostpazifik erkundet, während Schwarz-Schampera, zuständig für den Bereich Lagerstätten und Herkunftsnachweis metallischer Rohstoffe, im Indischen Ozean Schwefelablagerungen in der Nähe aktiver und erloschener heißer Quellen untersucht.

Was sich exotisch anhört, beschreibt aber ein Herzstück bundesdeutscher Energiestrategie. Geht es doch Tausende Seemeilen nordöstlich vom einstigen Kaiser-Wilhelm-Land und der Bismarcksee darum, die Metallversorgung des heutigen Deutschlands langfristig sicherzustellen. Ein Projekt, dessen Verwirklichung unter Zeitdruck steht. Denn, so führt Rühlemann aus, von der Verfügbarkeit „seiner“ Manganknollen hänge „ein Kernanliegen der Bundesregierung“ ab, der zügige Ausbau der E-Mobilität, ohne den sie ihre Klimaschutzziele nicht erreichen werde.

Die auf dem pazifischen Meeresboden zu findenden Knollen enthalten mit Mangan, Kobalt, Kupfer und Nickel vier wichtige Metalle, die in jedem Tesla oder BMW i3 stecken. Und von der VW-ID-Reihe sollen nicht Hunderttausende, sondern Millionen produziert werden. Weil der Bedarf an Kupfer für Batterieautos sogar um zwölf Kilo pro Einheit den von Benzinern übertrifft, ergänzt Schwarz-Schampera, seien auch seine Sondierungen von Sulfidlagerstätten im Indischen Ozean unverzichtbar. Die durch die E-Auto-Produktion steigende Kupfernachfrage sei nur theoretisch von Landlagerstätten zu befriedigen. Weil, wie in Chile, neue und sehr tiefe Gruben in die Erde getrieben werden müßten, was wiederum mit gravierenden Umweltbelastungen verbunden sei.

Ob allerdings der Tiefseebergbau, wie ihn die beiden Hannoveraner ermöglichen wollen, in dieser Hinsicht weniger schwerwiegende ökologische Bedenken weckt, lassen sie zumindest offen. Wohlweislich, da es bereits einen ökologischen Sündenfall seitens der Internationalen Meeresbodenbehörde gab. Sie habe einen Umweltmanagementplan erst erstellt, nachdem sie die Lizenzen zur Erkundung von Manganknollenfeldern erteilt hatte. Ein Bewußtsein für die Gefahren des Tiefseebergbaus, vor denen Meeresforscher und Umweltschützer stets warnten, habe sich daher erst allmählich gebildet. Nach 15 Jahren Forschung zur Exploration der Knollenvorkommen, so räumt Rühlemann ein, stehe nun ab 2021 für den östlichen Teil des deutschen Lizenzgebietes im Pazifik ein Umweltmonitoring an.

Das soll klären, was 5.000 Meter unter dem Meeresspiegel geschieht, wenn erstmals ein Erntefahrzeug pro Quadratmeter 20 Kilogramm der dicht an dicht liegenden, kartoffelgroßen Knollen absammelt. Wie schnell regeneriert sich danach die Fauna, wenn Sedimente am Meeresgrund aufwirbeln? Wie verbreiten sich die Partikel, wie stark schädigen sie Organismen abseits der Abbaugebiete? Verstopfen sie die Organe von Tieren, die ihre Nahrung aus dem Wasser filtern?

Ökologische Schäden noch nicht absehbar

Welche Arten kehren zuerst und in welchem Zeitraum in ihr aufgewühltes Habitat zurück? Wie verändert sich das geochemische Milieu durch den Abbau? Das alles ist so unbekannt wie die Artenvielfalt des Meeresbodens. Um dies aufzuklären, könne man „vermutlich noch 100 Jahre lang weiterforschen“.

So lange wollte übrigens die kanadisch-australische Firma Nautilus Minerals keinesfalls warten, die sich gegen alle Proteste von Umweltschützern an die Ausbeutung einer Metallsulfidlagerstätte in der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea wagte. Nur ihr Konkurs und die definitive Einstellung des Betriebs im September 2019 bewirkten ein Umdenken in der Region. Die Regierungschefs von Vanuatu und Fidschi, aus deren Gewässern vergleichbar große Rohstoffschätze zu heben wären, setzen sich für ein Moratorium bis 2030 ein, um bis dahin etwaige ökologische Schäden erforschen zu lassen, die der Tiefseebergbau anrichten könnte.

Die BGR-Geologen glauben sich im Vergleich mit derartigen Wildwest-Methoden auf der sicheren Seite. Die Hälfte ihres jährlichen Zwölf-Millionen-Budgets fließe in Umweltuntersuchungen. Was der ökologischen Sensibilität zugute gekommen sei. So schließe man den Abbau aktiver schwarzer Raucher, heißer Thermalquellen mit einem Umfeld einzigartiger mariner Ökosysteme, grundsätzlich aus. Was leichtfällt, weil das einzusetzende Gerät, eine aus dem Straßenbau vertraute Schlitzwandfräse, dort herrschende, 400 Grad heiße Fluide nicht aushielte. Aber auch sonst könne man schon deswegen Rücksicht auf die Artenvielfalt nehmen, weil sich nur 20 Prozent des 75.000 Quadratkilometer umfassenden ostpazifischen Lizenzgebiets für den Abbau eignen.

Ungeachtet dessen wollen Rühlemann und Schwarz-Schampera die ökologischen Probleme nicht kleinreden. Auch die ökonomischen Hürden nicht, die es noch zu nehmen gelte. Obwohl sich Rühlemann zuversichtlich gibt, wenn er frohlockt, der kommerzielle Abbau von Manganknollen rücke „in greifbare Nähe“, wenn 2020 das Regelwerk der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) verabschiedet werde und sie erste Lizenzen erteile. Nur müßten die Gebühren dafür niedrig sein, denn sonst rechne sich der industrielle Abbau vielleicht nicht. Darüber hinaus müsse man sich noch über eine „Kleinigkeit“ ins Bild setzen: Wieviel kostet es, aus den Manganknollen die Metalle zu gewinnen? Ein etabliertes Verfahren dafür gebe es derzeit nämlich nicht.

2020 wolle die BGR zusammen mit der RWTH Aachen daher einen großtechnischen Demonstrationsversuch starten, um zwölf Tonnen Manganknollen zu verarbeiten. Erst dann könne man abschätzen, ob sich Tiefseebergbau „wirklich lohnt“.

BGR-Erkundung mariner Rohstoffe: www.bgr.bund.de

Rohstoffprojekte in der Bismarcksee: www.welt-sichten.org