© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Keine Federn lassen
Vegane Kleidung: Neue Marken verändern Mode und Textilindustrie
Boris T. Kaiser

Ein wunder Punkt vieler Vegetarier und Veganer war lange ihre Kleidung. Die Lederschuhe, die warme Daunenjacke oder vielleicht sogar der Felleinsatz im Parka bildeten potentielle Angriffsflächen. Diese Zeiten sind vorbei. Nach der Lebensmittelindustrie und der Kosmetikbranche erobern tierfreie Produkte den Modemarkt. Neue Marken, wie das 2012 in Italien gegründete Label „Save The Duck“, setzen auf 100prozentig vegane Kleidung, ohne daß ein Lebewesen dafür Federn lassen muß – und das für Preise, die viele Wintermäntel mit Pelzkragen unterbieten.

Einen etwas weniger radikalen, aber nicht minder idealistischen Weg geht da Zue Anna. Die deutsche Firma bietet grausamkeitsfreie („cruelty free“) Produkte aus Schafwolle an. Die Firmengründerin Zsuzsanna Cséber verspricht einen eigenen, die branchenüblichen Zertifizierungen weit übertreffenden Standard in Sachen Tierschutz. Die Schafe, von denen die Merinowolle für die klassischen Pullover stammt, werden nur einmal im Jahr in einem speziellen langsamen („slow shearing“) Schonverfahren geschoren. So wird die Verletzungsgefahr für die Tiere auf ein Minimum reduziert.

Die neuen Modemacher setzen auf Nachhaltigkeit. Ein unternehmerisches Aufbäumen gegen Fast-Fashion-Industrie und Wegwerfmode sowie das Versprechen absoluter Transparenz. Das kommt gut an bei den Kunden. So gut, daß inzwischen auch große Marken auf den Zug aufspringen. So hat Jack Wolfskin als einer der führenden Anbieter von Draußen-Mode bereits eine eigene vegane Daunen-Alternative im Angebot. „Microguard Superloft“, so verspricht das Unternehmen, sei eine aus synthetischen Materialien gemachte Kunstfaserwattierung, die fast die gleiche Wärmeleistung wie Daunen habe. Wer das passende Schuhwerk oder Accessoire für den tierfreien Sonntagsausflug in die Natur braucht, wird mittlerweile auch beim britischen Markenhersteller Dr. Martens fündig. Selbst der Internetriese Zalando bietet vegane Mode in seinem Onlineshop an. 

Bei soviel neuer Auswahl auf dem Markt sind natürlich auch einige Scharlatane dabei. Die umstrittene Tierschutzorganisation Peta hat auf ihrer Internetseite eine Liste mit Marken veröffentlicht, die den ideologischen Radikaltest der Aktivisten bestanden haben. Dabei fällt auf: wahrhaftig nachhaltige und vegane Mode scheint vor allem Frauensache zu sein. SUSI Studio, Hipsters for Sisters (HFS Collective), In the Soulshine und viele weitere der von Peta aufgeführten Modelabels geben sich auf ihren Instagram-Accounts und in ihren Onlineshops betont feminin und verkaufen vorwiegend Produkte für Frauen und Kinder. 

Eine der wenigen Ausnahmen stellen hier die Designerstücke von Brave GentleMan da. Der stolze Herr, der sich nach der Vorstellung der Designer in ihr veganes Tuch hüllen soll, ist metrosexuell und vor allem wohlhabend. Eine kurze Hose kostet hier schon mal deutlich über 200 Euro.

Auch die textilgewordene Zeit- und Systemkritik läßt sich also offenbar wunderbar kapitalisieren. Da ist es kein Wunder, daß der nächste Trend gegen den Trend schon in den Startlöchern steht. Die in Leipzig lebende Modedesignerin Nicole Scheller entwirft Kleidung gegen Daten- und Videoüberwachung. Der gläserne Mensch der Moderne soll, in ihre Stoffe gehüllt, etwas weniger durchsichtig werden und somit anonymer durch den digitalisierten Alltag gehen können.

Viele Anbieter richten sich an Frauen

Mit Stealthbomber-Jacken und -Pullovern, deren Musterung für die Überwachungssysteme in unseren Großstädten mehre verschiedene Gesichter simulieren, sollen die Computerprogramme verwirrt und überlistet werden. Mäntel aus Stoffen, die im Militär als Schutz vor Wärmebildkameras eingesetzt werden, und Kapuzen mit integrierten LED-Leuchten machen auch nächtliche Einkaufstrips zu einem blendenden Vergnügen oder zu einem Spaziergang unter dem Radar. 

Die Gefahr, daß ihre Kleider auch von Kriminellen getragen werden könnte, sieht die Modemacherin nicht, die mit ihrer Arbeit bewußt auch ein politisches Zeichen setzen möchte. Zu auffällig seien ihre Stücke.