© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/19 / 06. Dezember 2019

Knapp daneben
Chris Martins fataler Traum
Karl Heinzen

Chris Martin hat viel erreicht. Die Umsätze stimmen, und die Fans, die seiner Band Coldplay Gehör schenken, glauben auch noch, daß das, was da erklingt, irgendwie belangreich sei, obwohl es im Muntermacherradio, das uns im Stau unterhält, rauf und runter gedudelt wird. Auf diese Masche, unter der falschen Flagge des elitären Geschmacks segelnd plumpen Pop zu liefern, verstehen sich nur ganz wenige, und ohne den Kunstgriff, durch Haltung von der Musik abzulenken, kommen sie allesamt nicht aus. Bono, der singende Pathosclown der Oldieband U2, hat es damit ganz weit gebracht – bis nach Davos und auf manch andere Bühne der großen Politik.

Doch auch ein so erfolgsverwöhnter Star wie Chris Martin kann nicht wunschlos glücklich sein. In einer Welt, die dem Untergang entgegentreibt, wenn wir nicht alle sofort etwas dagegen tun, sollte dies niemanden überraschen. Vermag ein Musiker die Menschheit zu retten? Nein, aber er kann doch, wie wir alle, seinen Beitrag dazu leisten. „Unser Traum ist eine Show ohne Einwegplastik, die größtenteils mit Solarenergie funktioniert.“

Die Fans werden stattdessen auf irgendein anderes weit klimaschädlicheres Konzert gehen.

 Da es eine Weile braucht, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, hat die Band beschlossen, ihr neues Album „Everyday Life“ nicht zum Anlaß für eine weitere Welttournee zu nehmen. Auf der letzten gaben sie 120 Konzerte auf vier Kontinenten. Die Umweltschäden waren beträchtlich. Allerdings werden sie durch einen Erkenntnisgewinn aufgewogen: „Wenn man das Privileg hat, um die Welt zu reisen, dann weiß man, daß wir alle von demselben Ort kommen.“ Und wenn wir alle von demselben Ort kommen, dies könnte die Logik sein, dann muß man auch nicht reisen, denn man ist ja schon da. Das ist sehr kompliziert, geradezu philosophisch, viel zu philosophisch für die einfach gestrickten Gemüter, die sich solche Musik antun. Diese Menschen werden nicht zu Hause sitzen und auf die nächste Coldplay-Tournee warten, sondern in der Zwischenzeit halt andere, weit klimaschädlichere Konzerte besuchen. Die zukünftigen Auftritte der Band mögen daher noch so nachhaltig sein. Ihre Konzertabstinenz ist es nicht.