© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Ländersache: Niedersachsen
Wer nicht fragt, bleibt stumm
Christian Vollradt

Mit einer höchst ungewöhnlichen Mitteilung haben sich in der vergangenen Woche Niedersachsens höchste Polizisten an die Öffentlichkeit gewandt. Nicht weniger als „Polizeischutz für die Demokratie“ kündigten die Präsidenten sämtlicher Direktionen, zudem die Chefs von Landeskriminalamt und Polizeiakademie pathetisch an. Anlaß der konzertierten PR-Maßnahme: „Sehr irritiert, mit Verwunderung, aber auch mit dem Willen zum Widerspruch“ hätten sie eine Kleine Anfrage eines AfD-Abgeordneten im Landtag zur Kenntnis genommen, in der es um die Aussage eines ihrer Kollegen ging. 

Was war passiert? Mitte November hatte die Polizeidirektion Oldenburg im Rathaus der Gemeinde Oyten Amts- und Mandatsträger aus Behörden, Gerichten sowie der Kommunalpolitik für das Thema ihrer eigenen Sicherheit sensibilisieren wollen. Auf der Veranstaltung äußerte Oldenburgs Polizeipräsident Johann Kühme, er schäme sich „als Deutscher dafür, wenn AfD-Politiker Muslima als Kopftuchmädchen titulieren oder die Nazis als Vogelschiß in der tausendjährigen Geschichte“ bezeichneten. Daraufhin fragte der rechtspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Hannover, Christopher Emden, die Landesregierung, ob der Polizeipräsident nicht möglicherweise mit solch einer Äußerung seine Neutralitätspflicht als Beamter verletzt habe und – falls ja – wie man damit dann umzugehen gedenke. 

So weit, so normal im politischen Geschäft. Schließlich ist AfD-Kritiker Kühme ganz nebenbei auch Inhaber eines SPD-Parteibuchs. Und es ist auch nicht das erste Mal, daß ihm ein Mangel an Neutralität vorgeworfen wurde. Im vergangenen Jahr soll Kühme maßgeblich eine Resolution verfaßt haben, mit der sich die Teilnehmer einer Polizei-Strategietagung von der Aussage Bundes-innenministers Horst Seehofers (CSU) distanzierten, wonach die Migration die „Mutter aller Probleme“ sei. Mehrere Beamte beschwerten sich anschließend, sie seien davon überrumpelt worden. Doch keiner habe sich getraut, etwas zu sagen, beklagte sich ein Teilnehmer.

Daß es im aktuellen Fall Widerspruch in Form einer Anfrage an Kühmes Vorgesetzte gab, inspirierte also zu einer kollektiven Solidarisierung. Denn aus ihrer Sicht, so die Polizeichefs, verfolge die AfD nur den Zweck, „politischen Druck auf Führungskräfte der Polizei ausüben zu wollen, um sie an ihrer berechtigten Widerspruchspflicht zu hindern“. Und dann fahren die eine Dame und sieben Herren ganz schweres Geschütz, um nicht zu sagen: den geschichtspolitischen Wasserwerfer auf: „Denn die Weimarer Republik ist nicht an ihren Gegnern gescheitert, sondern an der fehlenden Kraft ihrer Befürworter. Es gilt daher, die demokratische Haltung jedes einzelnen in der Polizei zu stärken. Und dazu gehört auch der Widerspruch gegen Äußerungen von Politikern, welcher politischen Partei sie auch angehören, die das freiheitliche Demokratieverständnis gefährden können.“

Der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Jens Ahrends, wundert sich indes, daß statt einer Antwort der Regierung bisher nur eine Pressemitteilung der Polizei kam. Und sein Parlamentarischer Geschäftsführer Klaus Wichmann wird noch deutlicher: Wer der Opposition das Recht, Anfragen zu stellen, abspreche, „greift tief in unsere demokratische Grundordnung ein“.