© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Wissen, worauf man sich einläßt
Undercover-Reportage: In Seminaren bringen Klima-Aktivisten neuen Mitstreitern bei, wie man Straßen blockiert und sich gegen die Polizei zur Wehr setzt
Hinrich Rohbohm

Das Heidelberger Schloß befindet sich in Sichtweite. Auf der gegenüberliegenden Seite des Neckars, in der Albert-Überle-Straße 5, treffen sie sich: Radikale, selbsternannte Klimaschützer der Gruppe Extinction Rebellion (XR). Eine Gruppe, die mit zivilem Ungehorsam, Sabotageaktionen und Straßenblockaden auf sich aufmerksam macht. Eine, die weiter geht als die Massenbewegung Fridays for Future. Die es in Kauf nimmt, bei ihren Aktionen mit dem Gesetz und der Polizei in Konflikt zu geraten. Und die genau dafür sogenannte Aktionstrainings durchführt, um ihre Teilnehmer auf Gesetzesbrüche und Zusammenstöße mit der Polizei vorzubereiten. 

Wie das geschieht, wollen wir uns bei einem ihrer Aktionstrainings ansehen. Verdeckt. Denn klar ist: Eine Zeitung wie die JUNGE FREIHEIT ist bei XR vieles, nur nicht willkommen. Hier, in einem Gebäude der Universität, in dem der Studentenrat sein Büro hat und wo auch das Büro der sogenannten „Beauftragten für Chancengleichheit“ untergebracht ist.

Es ist Aktionswoche: „Students for Future“. Am Eingang sitzen zwei junge Frauen. Sie haben einen Laptop aufgeklappt und zeigen auf einen Raumplan. Vollgespickt mit Terminen zu Aktionen rund um den Klimaschutz. Nahezu in jedem Raum des Gebäudes. Richtig ernähren für das Klima, basteln für das Klima, verschiedenste Vorträge über das Klima. Und das Aktionstraining steht auf dem Plan. Studieren scheint in diesem Gebäude zumindest in dieser Woche Marginalie zu sein.

Bereitschaft, auch           Gewalttaten zu begehen

„Nur einmal kurz die Treppe hoch“, weist uns eine der Studentinnen den Weg zum Raum von Extinction Rebellion. Oben angekommen, springt uns ein mit weißer Kreide auf eine Tafel geschriebener Satz ins Gesicht: „Wie stellst du dir das Ende des Kapitalismus vor?“ Wir öffnen die Tür. Etwa zwanzig Köpfe drehen sich zu uns, blicken uns an. Teils neugierig, teils mißtrauisch. Junge Frauen und Männer. Studenten, die an dem Aktionstraining teilnehmen werden. Klebeband wird herumgereicht. „Schreibt da euren Namen drauf und klebt es euch an“, geben zwei Organisatoren der Gruppe zu verstehen. 

Die beiden Organisatoren nennen sich Anton und Yves. Nur Vornamen, keine Nachnamen. Auch wir schreiben unseren auf das Klebeband. Einen falschen. Namen, die man offenbar gleich zu Beginn des Aktionstrainings auf ihre Echtheit hin zu überprüfen scheint. „Zu Anfang spielen wir zur Auflockerung erst mal ein Spiel“, sagt Yves, ein Mann mit Dreitagebart, durchlöcherter schwarzer Hose und schwarzem T-Shirt. 

Die Gruppe soll sich gegenseitig einen Ball zuwerfen und dabei den Namen des jeweils Zugeworfenen nennen. Das Ganze so schnell wie möglich. Ein Auflockerungsspiel. Oder eben ein Test, bei dem sich jemand mit falschem Namen verraten könnte, weil er für den Bruchteil einer Sekunde zu spät reagiert. Entsprechend treiben Yves und Anton die Geschwindigkeit an. „Schneller, noch schneller“, fordern sie immer wieder. Sowohl Anton als auch Yves werfen den Ball dabei mehrfach schnell und gezielt zu uns. Doch unsere Tarnung hält, das Aktionstraining beginnt. Mit uns. 

Yves hat ein „Handbuch für Aktionstrainings“ dabei, schlägt es auf. Es sind Anleitungen für den Kampf auf der Straße. Anleitungen über Blockadetechniken. Und darüber, wie man Polizeiketten überwindet. Zusammengestellt wurde das Handbuch von „Skills for Action“, einem „Netzwerk bewegungsorientierter Aktions-Trainer*Innen“, das bereits 2007 während des G8-Gipfels in Heiligendamm Blockadetrainings angeboten und durchgeführt hatte. Auch beim Jugendbildungsnetzwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung war „Skills for Action“ vertreten. Das Netzwerk bildet zudem die Trainer für Aktionstrainings verschiedenster radikaler Gruppierungen aus, sei es für „Blockupy“, „Gipfelproteste“, gegen „Naziaufmärsche“ oder eben für Formate wie die von Extinction Rebellion. 

Die laut Verfassungsschutz linksextremistisch beeinflußte Bewegung „Ende Gelände“ bietet ebenfalls Workshops für die Ausbildung zum Aktionstrainer an. Ebenfalls durchgeführt von „Skills for Action.“ Yves hat inzwischen Vertrauen in die Gruppe aufgebaut, redet jetzt offener. „Ich mache auch bei Ende Gelände mit“, offenbart er sich. Die Gruppierung taucht regelmäßig bei den Fridays for Future-Protesten auf, gilt als Produkt der Interventionistischen Linken (IL). 

„Wer da mitmacht, muß wissen, worauf er sich einläßt“, betont Yves und und deutet an, daß dazu auch die Bereitschaft zu Gewalttaten bestehe. Kein Widerspruch. Keine Fragen. Keine Kritik. „Bei XR haben wir ein anderes Aktionsformat, das auf zivilem Ungehorsam, aber Gewaltlosigkeit beruht. Wenn ich für XR demonstriere, halte ich mich dann auch daran, weil es zum Konzept gehört. Bei Ende Gelände sieht das anders aus.“  Er erzählt noch mehr: „95 Prozent von uns bei XR sind natürlich in den antifaschistischen Aktionen organisiert.“ Ein verschwörerisches Grinsen und Kichern unter den Gruppenteilnehmern macht die Runde. Niemand zeigt sich bestürzt oder entsetzt. Man ist sich einig. Dabei ist längst nicht jeder der Anwesenden ein erfahrener XR-Aktivist. Einige sind neu dabei, haben kaum Bezug zu Extinction Rebellion. Sie sind die Zielgruppe für die Rekrutierung weiterer „Aktivisten.“ 

In den Trainings werden sie durch Simulationsbeispiele gezielt Streßsituationen ausgesetzt. Die Teilnehmer haben sich jetzt in Bezugsgruppen aufgeteilt, sollen Entscheidungsfindungprozesse trainieren. „Eine Gruppe von uns wurde von der Polizei eingekesselt. Ihr steht auf dem Bürgersteig und beobachtet das. Was macht ihr? Die Gruppe befreien oder weiter auf dem Bürgersteig bleiben?“, gibt Anton als praktisches Übungsbeispiel zur Entscheidungsfindung vor. 

„Den Riot in die Steppe tragen“

Die Gruppen ziehen sich zur Beratung zurück. Plötzlich ruft Anton laut „MicPoint“ in den Raum. Alle anderen wiederholen laut. Es ist der Code für die Einberufung einer Konferenz während einer Demo. Denn auch bei linken Protesten sind Demonstrationsteilnehmer stets in Bezugsgruppen organisiert. Jede Bezugsgruppe bestimmt einen Sprecher, der an der Konferenz teilnimmt. Für die erfahrenen XR-Aktivisten ist die Entscheidung schnell gefallen: Polizeikette durchbrechen, die Gruppe befreien. Von Gewaltlosigkeit ist da plötzlich keine Rede mehr. 

Doch die „Neuen“ haben Bedenken, entscheiden sich zum Mißfallen der „Erfahrenen“ für den Bürgersteig, für den legalen Weg. Die Erfahrenen halten sich dran. „Aber nur, weil meine Gruppe es so möchte“, unterstreicht er. Die Bezugsgruppen sind im Konzept linksradikaler Gruppen ein wichtiger Faktor. Sie sind Grundlage für ihr dezentral strukturiertes Organisationskonzept. Ein Bezugsgruppen-Reader gibt hierfür die Anleitungen. „Banden bilden“, oder „Den Riot in die Steppe tragen“ sowie Anleitungen zur Überwindung von Polizeiketten sind da beschrieben.

Doch wer erstellt diese Reader und wer sind die Autoren? Die Ausdrucksweise dort gibt erste Hinweise. Die Mitstreiter werden als „Genoss*innen“ bezeichnet. Und der Reader wird auch von der linksextremistischen Roten Hilfe empfohlen, von der im Aktionstrainingsraum zudem Infomaterial ausgelegt ist. Ein Verein, der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft wird und der aufgrund seiner Unterstützung linker Gewalttäter bei den Staatsschützern massiv in der Kritik steht. An ihn sollen sich die Teilnehmer wenden, wenn sie von der Polizei festgenommen werden sollten, erklären Yves und Anton. 

Während des Aktionstrainings verläßt Anton plötzlich den Raum. Als er nach wenigen Minuten zurückkehrt, formt er seine Hände zu einem T. Ein weiteres Code-Zeichen, das für „Technical Point“ steht. „Wenn ihr dieses Zeichen seht, dann ist Presse unter uns. Dann heißt es Maul halten“, hatte Yves den Teilnehmern zuvor erklärt. Und jetzt zeigt Anton das T. Die anderen machen es ihm nach. Auf diese Weise verbreitet sich die Info auf einer Demonstration in Windeseile. „Es ist Presse unter uns“, sagt Anton folglich. Sind wir aufgeflogen? 

Nein. Ein anderer Medienvertreter möchte dem Aktionstraining beiwohnen. Yves ist wenig begeistert. „Können wir den nicht zu einer anderen Veranstaltung hier im Gebäude lotsen?“, fragt er Anton. Der schüttelt den Kopf. „Er will hierher.“ Nach längerer Diskussion stimmt man zu. „Okay, 30 Minuten. Wir nehmen unsere Namensschilder ab und erzählen irgendwas Belangloses“, meint Yves. Daß noch ein weiterer Pressevertreter mit von der Partie ist, ahnt er in diesem Moment nicht. 


Lesen Sie in der kommenden Ausgabe mehr über die Drahtzieher der Aktionstrainings und die sektenartigen Praktiken bei Extinction Rebellion.