© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Humboldt-Forum: Mit Bibelwissenschaft zum wahren Weltmuseum
Dekolonisierte Identität
(dg)

Was hat „die Erfindung des Alten Testaments“ mit dem noch unfertigen Berliner Humboldt-Forum zu tun? Um das zu erklären, wandelt Simon Wiesgickl, promovierter Religionshistoriker und Vikar der von Bischof Heinrich Bedford-Strohm geführten Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern, auf labyrinthisch wirkenden Pfaden der Ideengeschichte (Interkulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaft, 1/2019). Ausgangspunkt ist das Konzept eines Forums, das als Museum kein nationalkulturell dominierter Erinnerungsort mehr sein soll und sich dafür auf die kosmopolitischen Paten Wilhelm und Alexander von Humboldt bezieht. Womit sich für Wiesgickl trotzdem alte Fragen neu stellen: „Wo liegen die Wurzeln der Deutschen? Was macht ihre spezielle Identität im europäischen und globalen Kontext aus?“

Darauf lasse sich antworten, wenn man die bislang fast ignorierte „enge Verknüpfung von Bibelwissenschaft und nationaler Identität“ im ausgehenden 18. Jahrhundert untersuche. Gehe doch die Genese deutschen Nationalbewußtseins einher mit der „Neufiguration des hebräischen Volkes“ durch alttestamentliche Forschung. Aus der Wahrnehmung „mosaischer Vergangenheit“ und abgrenzender „Konstruktion des Fremden“, in der Kombination von Patriotismus und wissenschaftlicher Bibellektüre, habe sich das nationale Selbstverständnis entwickelt. Als „wahres Weltmuseum“ müsse das Humboldt-Forum über diese angeblich „ethnozentrischen“, schon 1800 vom „Kolonialismus avant la lettre“ zeugenden Wurzeln des spezifischen Menschenbildes der Deutschen aufklären und ihnen zur „Dekolonisierung ihrer Weltaneignung“ verhelfen. 


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